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Video mit Fingerspitzengefühl

■ Zwei Hände Rick Buckleys, einer von zwei Trägern des Bremer Videokunstpreises 1996, ringen in der Weserburg

Da wäre also diese Frage, die sich jeder Mensch schon gestellt hat, mindestens einmal im Leben, mindestens dann, wenn dieser Jeder-Mensch mit seinem Zeigefinger eine Fliege auf seiner Küchentischplatte zerdrückte, mindestens dann, wenn der Chitinpanzer dieser Fliege zu krachen begann: Was denkt diese verdammte Fliege beim feindlichen Anrücken einer Menschenhand?

Rick Buckleys Videoinstallation „We love you/We love you not“hilft uns bei dieser Einfühlung ins Insektiöse. Zwei mannshohe Hände lassen den Betrachter zu Zwergformat schrumpfen. Unterm Dach der Weserburg bewegt er sich wie Swifts Gulliver und Alice im Wunderland. Übrigens hat die Literatur der Aufklärung nicht selten die Größenverhältnisse verschoben, um Vorurteile zu kippen: der Blick von Zwergen und Riesen sieht mehr.

Auch Buckleys Arbeit verfolgt eine aufklärerische Intention. Sie zeigt die Bedeutung kleiner Unterschiede. Die beiden Hände vollführen in Dauerschleife eine einzige Bewegung: der Zeigefinger wechselt von gestreckter Position in gekrümmte Haltung und wieder zurück. Wir wissen spätestens seit den beachtlichen Folgen von Effenbergs Stinkefinger für den deutschen Fußball, daß die kleinen Scharniergelenke in unseren äußersten Körperausläufern große Wirkungen herbeizaubern können. Genau das zeigt auch Rick Buckley – und noch mehr.

Die zwei Hand-Monster tun exakt dasselbe, sind jedoch auf unterschiedliche Weise ins Bild gerückt. Mal ist die Handfläche oben, mal unten. Kleiner Unterschied, große Wirkung: mal lockt die Hand, mal verscheucht sie den Betrachter grimmig. Ein Umkehr-Schluß, den wir auch im Alltag beobachten können, etwa im Beruf. Sagt zum Beispiel der Chef „Frau Kern, Sie sind eine absolute Null!“, so macht es einen beträchtlichen Unterschied, ob er seine beleidigende Tätigkeit im Stehen mit herabwürdigendem Blick ausübt, oder ob er bei dem diskriminierenden Satz in den Kopfstand geht und von 10 cm Bodennähe aus zum Objekt der Beleidigung herauflugt.

Buckley geht noch weiter. Bei ihm liegt der Unterschied nicht in der Sache, sondern allein in der Perspektive. Zwar möchte der Betrachter Stein auf Bein schwören, daß die zwei Hände mit den gegensätzlichen Botschaften nicht identisch sein können; sind sie aber. Die Bedeutung ist also einzig und allein eine Freudsche Projektion des Betrachters. Wo man sich beleidigt fühlt, muß nicht unbedingt eine Beleidigung vorliegen.

Buckley verfolgt noch etwas anderes. Er möchte zeigen, daß in jeder Geste ein widersprechender Subtext lauert. In jeder zurückweisenden Bewegung steckt ein Funken Sympathie, und in jeder Annäherung verbirgt sich der Drang nach Distanz. „Denn schließlich haben wir eine gewisse Angst vor allzu viel Kontakt.“

Auch andere Videoarbeiten oder Skulpturen des ehemaligen Meisterschülers von Nam June Paik nehmen ihren Ausgangspunkt bei einfachen Beobachtungen des menschlichen Körpers, um sich zu sozio-psychologischen Thesen voranzuarbeiten.

Für die Realisation seiner Hand-Arbeit erhielt Buckley letztes Jahr 6.500 Mark Handgeld. Mittlerweile ist er von Köln wieder nach London gezogen. Eigentlich wollte er ja der taz noch erzählen, was er dort im Moment so künstlerisch treibt, zog es dann aber doch vor, sich von einer hübschen Blondine anbaggern zu lassen. Muß man Verständnis dafür haben. bk

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