: Tram bremst Rollstühle aus
■ BVG schafft weniger behindertenfreundliche Straßenbahnwagen an als geplant, weil wegen Kürzungen das Geld fehlt. Behindertenverbände: Einschränkung der Bewegungsfreiheit
Die BVG entfernt sich von ihrer Verpflichtung, den Nahverkehr in Berlin behindertengerecht zu gestalten. Statt, wie im September 1996 angekündigt, „über 200“ der neuen (stufenlosen und damit für Gehbehinderte und Rollstuhlfahrer geeigneten) „Niederflur-Triebwagen“ für die Tram einzuführen, sind es bislang nur 120. Zwar wurde noch im Februar 1997 der Bau von 76 Niederflur-Anhängern ausgeschrieben. Im Laufe des Jahres aber reduzierte sich diese Zahl auf 30. Und auch die werden nach Informationen der taz höchstwahrscheinlich gestrichen.
„Die Entscheidung über die 30 Anhänger wird erst Mitte des Jahres gefällt“, sagt dagegen die BVG- Sprecherin Carmen Kirstein. Sie verweist auf die „leeren Kassen“ des Unternehmens und weist die Verantwortung dem Senat zu. Die BVG meint, daß der Senat, wenn er hinter dem Konzept stehe, auch die Kosten tragen solle. Statt dessen kürze dieser aber vertragswidrig seine Zuschüsse und überweise der BVG 50 Millionen weniger als vertraglich zugesichert.
Für die Grünen ist dies ein handfester „sozial- und verkehrspolitischer Skandal“, so der verkehrspolitische Sprecher Michael Cramer. Nachdem die Hublifte in den Bussen gestrichen und das Fahrstuhl-Programm reduziert worden seien, müßten sich die Behinderten durch diese neuerlichen Kürzungen betrogen fühlen: „BVG und Senat sparen auf Kosten der Schwächsten und Schwachen.“
Beliebt waren die rund eine Million Mark teuren Anhänger noch nie. „Viel zu kostspielig“, nennt sie Jens Wieseke vom Fahrgastverband IGEB. „Typisch Berlin“ sei es, das teuerste Modell zu wählen und am Ende mit „gar nichts dazustehen“. Der Tram-Verkehr in Berlin werde nämlich zu drei Vierteln von Wägen der Marke „Tatra“ bestritten, die gerade in großem Stil modernisiert wurden. Ursprünglich sollten nach IGEB-Angaben bis 1999 80 Prozent des Tram-Netzes zumindest teilweise behindertengerecht bedient werden. Doch bei der Modernisierung der Tatra-Wagen „hat die BVG schlicht versäumt, was anderswo erfolgreich praktiziert wird“, klagt Wieseke. Dort werden „Niederflur-Mittelteile“ integriert.
Dieses wäre in Berlin zwar nur bei dem mit einem Gelenk versehenen Modell „Tatra KT4D“ möglich. Es wäre aber um die Hälfte billiger: „Ein solches Mittelteil kostet mit Einbau nur etwa 500.000 Mark“, rechnet Wieseke vor.
Die BVG hingegen lehnt diese „Mittelteil“-Variante ab: „Die Wagen werden zu lang, die abfallende Bodenhöhe in der Mitte des Zuges schränkt die Bequemlichkeit ein“, so Sprecherin Kirstein.
Martin Eggert vom Verein „Mobilität für Behinderte“, der massiven Widerstand gegen diese Politik ankündigt, sieht die Bequemlichkeit und vor allem die Bewegungsfreiheit der Behinderten noch auf lange Sicht eingeschränkt: „Bei der Lebensdauer einer Tram von etwa 25 Jahren wurden durch die mangelhafte Modernisierung der Tatra-Wagen (den Nicht-Einbau der Mittelstücke) denkbar schlechte, behindertenfeindliche Fakten geschaffen.“ Eigentlich seien zwar auch die Mittelstücke etwa für elektrische Rollstühle nicht ideal, da der Einbau einer Hub-Plattform dort nicht möglich sei. Aber: „Jetzt haben wir erst einmal gar keine Verbesserung.“ Tobias Riegel
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