Hauptbeschäftigung: Warten

■ Exilliteratur gibt es ohne Ende, Stimmen aus dem Asyl kaum. Thomas Mazimpaka erhebt die seine im Bremer Weltladen: „Ein Tutsi in Deutschland - Das Schicksal eines Flüchtlings“

Nicht jeder hat einen Freund in der Schweiz. Thomas schon. Obwohl Thomas mit Nachnamen Mazimpaka heißt. Das kommt daher, daß er Tutsi aus Ruanda ist. Die Freundschaft zu Jacques aus Lausanne wiederum rührt her von ihrer Zusammenarbeit in einer Finanzierungsgesellschaft für Entwicklungsprojekte in Ruanda irgendwann in den 80er Jahren. Mazimpaka ist Betriebswirt. Er stammt aus einer begüterten Familie und konnte in Zaire studieren.

1990/91 als sich die Situation zwischen den regierenden Hutus und der benachteiligten, aber dennoch wohlhabenderen Tutsiminderheit verschärfte, erinnerte sich Jacques an seinen früheren Kollegen. Er verhalf ihm zu einer auf zwei Monate begrenzten Einreisegenehmigung in die Schweiz. Ein mühsam erlaufenes Bündel von Scheinen – Einreiseerlaubnis hier, Ausreiseerlaubnis dort, Paß, Flugticket hin und zurück – war die einzige Möglichkeit, dem organisierten Gemetzel an den Tutsis zu entkommen. Denn „auf illegale Weise das Land zu verlassen, käme absolut nicht in Frage. Alle zehn Kilometer gab es eine Straßensperre ... das hätte nur zum nächsten Gefängnis oder gar zum Tod geführt.“

Die Perfektion des ruandischen Überwachungssystem – aufgeblähter Geheimdienst, Telefonüberwachung, perfekte Flughafenkontrolle – also hat zur Folge, daß trotz siebenstelligen Massenmorden kaum ein Ruander in Deutschland gestrandet ist. Es sei denn, sie hatten ein jacquesartiges Wesen zum Freund. „Das sind ungefähr 50.“– „In Bremen?“– „In ganz Deutschland“, schätzt ein Mensch von der Bremer Afrikainitiative. Obwohl es um ganz wenige, ganz grausam geschundene Personen mit einem Schädel voller gemeinster Erinnerungen geht, stellen sich die deutschen Behörden an, als wäre eine Masseninvasion zu befürchten. Seit unglaublichen sechs Jahren steckt Mazimpakas im deutschen Asylverfahren fest. Eine Demokratie entwendet einem erwachsenen Menschen dauerhaft jede Möglichkeit auch nur das geringste – Essen, Schlafen, Ort des Spazierengehens – selbst zu bestimmen. Verkünder der Menschenrechte setzen einen Akademiker der schlimmsten psychischen Folter aus: Warten, Nichtstun. Zur Bekämpfung der Langeweile griff Mazimpaka zur Schreibmaschine. Im Bremer Weltladen stellte er den vielleicht ersten Erfahrungsbericht eines Asylbewerbers aus Deutschland vor.

Die Wirkung ist seltsam: Man erfährt nichts, was man nicht schon wußte, und doch wird die Unzumutbarkeit der Zustände klarer denn je: Das Asyl-§§-“Verfahren“ist derart bürokratisiert, daß von der einstigen Grundidee – Hilfe, Rettung, Fürsorge – kein Fitzelchen mehr existiert. Alle Entscheidungen, die über Mazimpaka unkalkulierbar wie Naturkatastrophen hereinbrachen, zeugen von vollkommenem Desinteresse. Ohne jede Notwendigkeit ist er von seiner Cousine getrennt worden, ohne jeden Grund in ein Lager gesteckt worden, das denkbar weit von seinem „frei“in Deutschland lebenden Bruder entfernt liegt – und das in einem familienversessenen Land. Ohne Sinn und Verstand verstaute man ihn in einem Lager, wo er der einzige Afrikaner war. Mit einem demolierten Straßenschild gehen Beamte sorgsamer um. Die „Überstellung“zum „Zuweisungsort“bzw. der „Transfer“ins „AsylbewerberHEIM“funktioniert als handele es sich um schwererziehbare Kinder – oder ein Postpaket, Porto 6,20 DM.

Kein Wunder, daß Bürokratismus in Thomas Mazimpakas Sprache eingesickert ist. Dem neuen Zimmergenossen „teilte ich mit, daß auch mir für das Zimmer Zutritt gewährt worden war.“Statt einem simplen ,Auch-ich-wohne-hier' stelzt er auf Passivkonstruktionen und Formblatt- wie Verbotsschilderausdrücken. Kaum zu überhören: Da spricht einer in einer wilden, fremden Sprache und zwängt die aufgeschnappten Ausdrücke manchmal ein wenig gewaltsam in den Satz ein – oft ganz entzückend, etwa: „Ich begann mit einer Stange im Nebel zu stechen.“Auch unfreiwillige Verfremdungen können spannend sein.

Die Tragödie von Mazimpakas Schicksal: Die geballte deutsche Ordnungsmacht trifft einen ordnungsliebenden Menschen. Eine der schönsten, abartigsten Passagen: Als man sich im Ludwigsburger Asylheim zu einem Streik entschießt wegen einer drohenden Verlagerung ins sagenumwobene, gefürchtete Ostdeutschland, verweigert sich Mazimpaka. „Das war für mich nicht nur eine Schlafstörung, sondern auch gegen meine moralischen Prinzipien. Nach meiner afrikanischen Erfahrung waren Demonstrationen nicht nur die letzte Auflehnung, sondern auch eine mutwillige Haltung den Behörden gegenüber.“Doch die Angst vor dem Rechtsradikalismus sitzt tief in den Knochen. „Ich wußte aber, daß in den sogenannten demokratischen Ländern eine Demonstration wirksam sein kann. Ich entschied mich teilzunehmen.“Und so zogen zwanzig fröstelnde Menschen durch die Straßen. Wen interessiert's?

Mazimpaka erzählt immer wieder von brutalen Minuten, Stunden, Tagen, in denen man ihn in der Flughafenabfertigung, an irgendeiner Grenze, in einem Behördenzimmer warten ließ, sitzen ließ, im Unklaren, wie es denn jetzt mit ihm weitergehe. Unergründliche Entscheidungen, wie von einem verwirrten deus ex machina, prasselten auf ihn ein – oder blieben aus. Nichts kann er selber in die Hand nehmen; ein Gestalt-Vakuum, das er als unerträglich empfindet. Neben dieser Perspektivelosigkeit und der Langeweile ist sein dritter ständiger Begleiter Angst. Die rechtsradikalen Exzesse in den neuen Bundesländern treiben ihn den Schweiß auf die Stirn bei jeder auch nur andeutungsweise verdächtigen Bewegung. Einen Brandanschlag auf sein Heim erschnupperte der Hypersensibilisierte bezeichnenderweise sofort, ehe es gefährlich werden konnte. Diese gestrauchelte Selbstsicherheit richtete sich erst dann wieder ein wenig auf, als Mazimpaka merkte, daß es den Deutschen nicht viel besser geht als ihm. Bei einer schwarz-weißen Begegnung mitten im einsamsten Wald ahnte er die Furcht der Gegenseite: „eine nützliche Erfahrung“. Sie hielt aber nur solange, bis der Kiefer eines schwarzen Leidensgenossen fachgerecht zertrümmert wurde. Kaum weniger zermürbend sind die kleinen Zurückweiungen in Bus, Bahn, Geschäften, der verdächtigende Blick des Kaufhausdetektiven.

In Mazimpakas Buch erspürt man die Innenseite unseres Asylrechts, erfährt aber auch viel über Ruanda und die unrühmlichen Rollen, die die Kirchen und die belgische Kolonialmacht im ethnischen Konflikt einnahmen. Doch das lese man besser selber nach. B. Kern

„Evangelische Verlagsanstalt, 288 S., 29.80 DM