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Radeln bis zum Umfallen

■ taz-Serie Grenzgänger, Teil 10: Der Marathon-Biker Claus Czycholl über die Suche nach dem großen Flash Von Christina Gottschall

Im Flur liegt die Gesäßcreme von Sixtufit. Daneben steht das Fahrrad: 8,9 Kilogramm dunkelblaue Sonderanfertigung. Übermorgen wird Claus Czycholl beim traditionsreichen Ausdauerradrennen Audax Randonneur in Frankreich starten. „Extremsport ist das nicht,“ glaubt er.

Nun ja: 1218 Kilometer Radfahren in höchstens 90 Stunden. Wer länger braucht, fliegt raus. Neunzig Stunden nur brütende Hitze, treten, trinken, essen und immer weiter treten. Kein Schlaf. Nichts denken. Paris-Brest-Paris ist die Route.

In Hamburgs Osten, wo alle Straßen auf den Stadtteil Hamm verweisen: Hammer Landstraße, Hammer Steindamm, Hammer Berg und man nichts Aufregendes vermutet, wohnt der Sozialpädagoge Claus Czycholl.

„Man muß immer fahren, sonst schafft man das nicht,“ sagt der schlaksige Mann in lila Levis, der aussieht wie die meisten Vertreter seiner Berufsgruppe. Nur mit auffällig mehr Körperspannung. Er bewegt sich sehr ökonomisch und strahlt eine Ruhe aus, die dröge wirken kann.

Wenn er über das Rennen spricht, kommen erstmal nur Fakten: 550 Franc Startgeld, Lichtbild, Unfallversicherung und Adreßaufkleber wurden aus Paris gefordert. Er hat die Startnummer 3462. Man möchte ihn schütteln, damit er mehr erzählt. Warum diese endlose Quälerei? Flucht? Sucht? Suche nach den Grenzen? „Nein, nein, nur aus Spaß.“

Wenn der Extremsportler von dem redet, womit er seine Brötchen verdient, versteht man, was ihn wirklich anstrengt. Dafür braucht er einen Ausgleich. Ja, ein zeitintensives Hobby sei es schon. Wenn andere nach der Maloche die Beine aufs Sofa legen, um über Videotext die neusten Gerüchte und Bänderrisse der 1. Bundesliga zu erfahren, strampelt Czycholl ein paar Stündchen gemütlich ab. Radfahren macht Laune.

Andere Extremsportler reden von Buddha, von Reinkarnation, von embrionalen Erfahrungen und dem eins werden mit der Unendlichkeit. Claus Czycholl freut sich schlicht. Und zwar auf die 1218 Kilometer. Diesmal möchte er in 70 Stunden schaffen, wozu er vor vier Jahren 85,2 brauchte.

„Man bekommt in Paris so eine Scheckkarte und alle 100 Kilometer wird man eingecheckt“ sagt Czycholl. Da gäbe es dann im Vorbeigehen die gute französische Küche. Aber für kulinarische Abstecher bleibt keine Zeit. Mit einem Power-Energieriegel, 65 Gramm, Apfel-Zimt-Geschmack, kommt er 100 Kilometer weit. Puls nicht über 150. So ab 400 Kilometer braucht er dann mal eine warme Mahlzeit. An seine physischen Grenzen kommt er zu keinem Zeitpunkt. Aber, so sagt er, es ist doch ein schönes Gefühl, wenn man topfit ist und der Nachbar baut ab.

Im Ziel dann der absolute Flash oder auch totale Leere. Das weiß man nie. Aufgeben kommt für ihn jedenfalls nicht in Frage. Treten-treten-treten ist die Devise. Die Tour ist mörderisch und Claus Czycholl immerhin schon 52 Jahre alt. Sein Alter ist für ExtremsportlerInnen nicht ungewöhnlich. Frauen sind dagegen bei diesen Exerzitien eher selten vertreten. Zwei Radlerinnen, 56 und 57 Jahre alt, sind dieses Mal dabei.

In der Werkstatt des Marathon-Bikers liegen und hängen Ritzel, Zangen, Felgen und fünf Fahrräder. Für jede Landschaft und jede Herausforderung baut er hier den richtigen fahrbaren Untersatz zusammen. Das Rad für übermorgen, das sechste also, steht schon gepackt im Flur.

Früher ist er Marathon gelaufen. Aber das war dann irgendwann so normal. Eine Banalität. Unsereins ist froh, ohne zu kotzen, um die Außenalster zu joggen. Czycholl langweilt sich beim Dauerlauf. Und dann hat sich das mit dem Fahrrad ergeben. „Ich bin mal mit dem Rad nach Norwegen gefahren.“ Nach fünf Tagen war er schon da.

„Der Mensch kann unendlich lange in Bewegung sein – ohne Pause“ sagt Czycholl. Der Pulsmesser ist beim Non-Stop-Radeln immer dabei, und ein Radio am Arm, damit er nicht einschläft. Die Brille gegen Insekten ist wichtig und ein himmelblauer Helm mit eingebauter Lampe – fürs Strampeln in der Dunkelheit.

Man nimmt die Nacht wahr, den Morgen, den Regen, und manchmal den Wechsel der Jahreszeiten wenn man fährt. Man muß im Kopf einen Kreis machen, und die Beine folgen dann irgendwann nach. „Du merkst wenn der Stoffwechsel umschaltet und die Fettverbrennung einsetzt“. Der Körper, sagt er, werde nicht ausgebeutet wie beim Hochleistungssport, sondern optimal genutzt. Eingeschlafene Hände, wunder Hintern, taube Füße, Nackenstarre. Das kann mal passieren. Aber das vergeht.

Seine Frau sagt zwar, sie würde das nie machen – „ich bin doch nicht bekloppt“ – findet's aber trotzdem total normal. Sein 18jähriger Sohn Max findet nix dabei und auch die Reporterin weiß langsam nicht mehr ob sie solche Touren für etwas besonderes halten soll. Claus Czycholl hat allmählich genug von der Fragerei: Er möchte noch einige Stündchen Radfahren.

taz-Serie Grenzgänger, Teil 11: Einmal Hamburg und zurück. Eine Chilenin über das Leben in zwei Kulturen. Dienstag, 29. August.

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