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Wandelbarkeit des Atems

■ Sommertheater (II): „Las Voces de la Voz“ von Fatima Miranda

Erstaunlich, was menschliche Stimmbildungsorgane mit Luft anzustellen vermögen, wenn diese, ein- oder ausgeatmet, an ihnen vorbeigeführt wird. Fatima Mirandas Stimmbänder können die Luft in Schwingungen versetzen, die einen als Normalsterblichen die Ohren und staunend auch die Augen aufreißen lassen: So etwas soll möglich sein?! Langanhaltend, klar und hoch und höher und noch höher und dann am höchsten sind die Töne, die sich der Kehle der zierlichen Spanierin entringen. Manchmal fühlt man sich an Geräusche erinnert, die entstehen, wenn jemand mit einem Bogen über eine Säge streicht. Dann sind die Töne dunkel, wie ein Gurren. Und zum Schluß der Performance folgen die Töne in so überhasteter Folge einer dem anderen, daß man kaum glauben mag, daß es tatsächlich nur ein Mund ist, der hier singt.

Las Voces de la Voz, so heißt die Performance, mit der Fatima Miranda am vergangenen Wochenende beim Sommertheater auf Kampnagel aufgetreten ist. Die Stimmen der Stimme, die Veranstaltung erzählt von der Wandelbarkeit des einen Lauterzeugungsorgans, das im Körper der spanischen Vokalkünstlerin steckt. Mit fernöstlichen Stimmtechniken hat sich Fatima Miranda beschäftigt, mit japanischer, indischer, mongolischer Musik, und in allen fremden Kulturen hat sie wieder neue Fähigkeit ihrer eigenen Stimme entdeckt. Was sich da an Tönen angehäuft hat, ist erstaunenswert: dieses Glucksen, Tirilieren und Tröten, dieses Wimmern, Pfeifen und Dröhnen, dieses Hauchen, Grunzen und Tönen, all das, wozu Fatima Miranda ihren Atem zu formen in der Lage ist.

Trotzdem: Ist es nicht auch langweilig, wenn jemand einfach ganz ungebrochen das vorführt, was er kann? Fatima Miranda hat 90 Minuten lang ihr Können vorgeführt, es war großartig und – bei allem Respekt – auch langweilig. Wie eine Demonstration der Möglichkeiten eines Instruments, bevor man sich daranmacht, sie auch anzuwenden.

Dirk Knipphals

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