: Nun mal ran an die Realität
■ litäten Die Bremer Religionspädagogen feiern ihr 20jähriges Bestehen / Ein Rückblick mit Vorschau über biblischen Unterricht und Religionskunde in der Multi-Kulti-Gesellschaft
Großes Lob an die Bremer Religionspädagogik: Mit seinem „Biblischen Geschichtsunterricht“(BGU) bildet das Bundesländchen immer noch die Avantgarde aufgeklärt-religiöser Gesinnung in Deutschland.
Während in Bremens neuer Moschee die Muslime der Stadt ihr fröhliches Fastenbrechen feierten, bekam der 20jährige Studiengang Religionswissenschaften und Religionspädagogik an der Bremer Uni erstmal ein dickes Lob durch den Mainzer Religionswissenschaftlers Gert Otto: Dem Bremer Modell eines interkonfessionellen Unterrichts gehört die Zukunft! Danach und vor dem Marsch auf überlappende Laugenbrezeln fand sich das Podium zur kritischen Selbstbefragung.
Denn Avantgarde hin, Speerspitze her: Theoretisch mag das klasse sein, daß Bremen (und jetzt auch Brandenburg) ihren religiösen Unterricht nicht an die Kirchen ketten – praktisch läuft die Geschichte aus dem Ruder. Weswegen? Wo der Staat sich der Religion annimmt, freute sich schon Hegel, ist die Religion eigentlich nicht mehr nötig. Außerdem hatte der hansische Schmerbauch mit Volksfrömmigkeit noch nie viel am Hut, so Horst Gloy vom Pädagogisch-Theologischen Institut Hamburg, der in der Diskussion über die „Zukunft des schulischen Religionsunterrichts“die Rolle des engagierten Praktikers spielte: Ran an die Realitäten.
Quantitativ sehen die düster aus. In Bremens Schulen ist der religiöse Unterricht ein Ausnahmefall. In der Sekundarstufe, nehmen noch drei von zehn Schülern am „Biblischen Geschichtsunterricht“(BGU) teil. Nicht nur, weil die Schüler sich abmelden. Ganze Schulen gäbe es, so empörte sich Manfred Spieß, der am religionswissenschaftlichen Institut die Schulpraktikanten betreut, ganze Schulen, wo es nicht einen einzigen Religionslehrer mehr gäbe. „Handlungsbedarf ist vorhanden“, findet sogar Wolff Fleischer-Bickmann, Referent für Religion und Philosophie im Bremer Senat, der sich bei der allgemeinen Prügel, die auf die Bildungsbehörde niederging, denn auch eher duckte. Vor sechs Jahren hatte er in Bremen begonnen, parallel zum BGU noch einen Philosophie-Unterricht einzurichten. Auch, um mit der Alternative „Philosophie“statt „Freistunde“manchen Schüler vielleicht doch zur Bibel zu bekehren.
Die Männer im Uni-Gästehaus hingegen philosophierten vor allem lustig an der interreligiösen Realität der Bremer Schulen entlang. Daß konfessionell, ja auch nur christlich gebundener Unterricht Humbug ist, wenn in der einen Klasse jeder Zweite noch nicht mal weiß, ob er einer Religion zugehört, und in der anderen Klasse zu 90 Prozent Muslime sitzen, darüber war man sich einig. Und zwar vom katholischen Schulrat Aloys Lögering, bis hin zum Vorsitzenden des Zentralinstitut Islam-Archiv, Mehmet Kilinc. Sowas reißt auch ein „Biblischer Geschichtsunterricht auf allgemein christlicher Grundlage“nicht raus. Die Praktikanten, die jedes Jahr vom religionspädagogischen Studiengang in die Schulen strömen, machen denn auch so manches andere: Schöpfungsgeschichte wird als Umweltschutz interpretiert und der Indianer als „neuer Kulturkreis“entdeckt (“Haben die Indianer wirklich eine rote Haut?“). Es wird in Gruppen und „Freiarbeit“(grauenhaftes Wort) gearbeitet und natürlich auch weiterhin kräftig gelabert im Laberfach. Denn, so die einhellige Meinung der Diskutanden: Verständigung kommt vor Identität! ritz
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