piwik no script img

Gericht erledigt islamische Gefahr

■ Die größte Partei der Türkei wurde verboten

Ankara (rtr/AFP) – Der Auftrag des Militärs ist vollzogen: Das türkische Verfassungsgericht hat am Freitag die islamistische Wohlfahrtspartei (RP) des ehemaligen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan verboten. Der Vorsitzende Richter Ahmet Necdet Sezer sagte zur Begründung, das Gericht sei zu der Überzeugung gekommen, daß die Partei gegen grundlegende Prinzipien der weltlich orientierten Republik verstoßen habe. Parteichef Erbakan muß sein Parlamentsmandat niederlegen. Ihm werden für fünf Jahre jede politische Führungstätigkeit und die Gründung einer neuen Partei untersagt. Das Verfassungsgericht verbot insgesamt sechs ranghohen RP-Vertretern für fünf Jahre, sich an die Spitze einer neuen Partei wählen zu lassen. Mit dem Verbot wird das Eigentum der Wohlfahrtspartei jetzt dem Staat zufallen.

Der türkische Generalstaatsanwalt hatte der Wohlfahrtspartei vorgeworfen, den Verfassungsstaat abschaffen und das Gesetz des Koran einführen zu wollen. Somit stelle sie eine Gefahr für die moderne weltliche Türkei dar, wie sie Mitte der 20er Jahre vom Staatsgründer Kemal Atatürk geschaffen worden sei, argumentierte er. Die RP stellt mit 158 Abgeordneten die größte Fraktion im Parlament. Bereits am Montag hatte das Verfassungsgericht mehr als zehn Millionen Mark an staatlichen Zuschüssen für die Partei gesperrt.

Führende Vertreter der Wohlfahrtspartei wandten sich gegen das Urteil. Der Gerichtsbeschluß habe nichts mit Recht zu tun, sondern spiegele eine rein politische Entscheidung wider, sagte der stellvertretende RP-Vorsitzende und frühere Justizminister Sevket Kazan in Ankara der Nachrichtenagentur Reuters. Andere RP-Spitzenpolitiker erklärten, das Verbot werfe einen Schatten auf die türkische Demokratie. Erbakan rief allerdings seine Anhänger zu Ruhe und Besonnenheit auf. Jede Provokation solle vermieden werden. Statt dessen, so Erbakan, werde man gegen das Urteil juristisch vorgehen. Das Verbot der Partei soll vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überprüft werden.

Erbakan war der erste islamistische Ministerpräsident in der Geschichte der Türkischen Republik. Im Juni vergangenen Jahres mußte er nach einjähriger Regierungszeit auf Druck der Armee zurücktreten. Es ist bereits das dritte Mal, daß eine von Erbakan gegründete Partei verboten wurde. Insgesamt traf in der Türkei seit 1960 vierzig zumeist linke oder kurdische Parteien dieses Schicksal. Ihnen wurde Separatismus vorgeworfen. Bericht Seite 10

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen