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Wahres Menschenbild, ermüdend

■ Rainer Iwersen inszeniert mit der Shakespeare Company einen klamaukigen, kunterbunten „Heinrich VI.“

Ach, Frau Welt, die Menschen sind herrschsüchtig, korrupt, intrigant, verlogen, kurz: lebensgefährliche Bestien. Oh, Bruder Shakespeare, das ist nichts Neues, das ist ganz normal, da kann man sich eigentlich nicht mehr ernsthaft darüber mokieren.

Deshalb wohl macht Rainer Iwersen aus „Heinrich VI.“, dem ersten tragischen Historiendrama des noch nicht einmal 30 Jahre alten Shakespeare ein leichtfüßiges Jahrmarktsspektakel. Treten Sie ein meine Damen und Herren, zu sehen sind Mißgeburten, Gaukler, Akrobaten – und Könige und Kardinäle. Statt mit Orden schmücken sich diese Faschingsprinzen mit Luftschlangen, der Kardinalshut sieht aus wie eine Duschkappe – eher erniedrigend als erhebend, und anstelle des Szepters trägt man ein Bündel Luftballons. Wenn die platzen verflüchtigt sich heiße Luft in wüstem Knallen: Sicher, das klingt gefährlich, aber nur für die dummen Puppen der Marionettenbühne. Hinter einer solchen nämlich läßt Iwersen eine Zeit lang Ritterhelme kämpfen und Könige verstecken. Und das Publikum lacht wie die Kinder, wenn das Kasperle kräftig durchgeprügelt wird. Sind sie nicht ganz entzückend, unsere kriminellen Politiker?

In diesem Machtspiel kann jeder überall stehen. Und so wechseln die fünf Schauspieler nicht nur Rolle, Geschlecht und Alter, sondern gleichzeitig auch die Fronten. Einem Schwein ist es egal, wo es grunzt, Hauptsache es grunzt erfolgreich. Unter der weißen Soutane des Kirchenfürsten spitzen die lila Schuhe und die grüne Hose des gewaltgeilen York hervor: im Stilbruch wird die Charakterlosigkeit deutlich. „Ich selbst habe sie erobert“, jammert der aufrechte Gloucester über den Verlust der französischen Gebiete – und war doch erst in der vorhergehenden Szene ein übler Zyniker.

Die Kronen sind üppig verziert – und doch nur aus Pappe. Außerdem rutschen sie gerne vom Kopf, verstellen die Sicht und lassen den Träger herzlich doof dreinblicken. Der Thronsaal ist ein Karussell. Diese Drehscheibe der Politik schubst die ausgelassenen Reiter mal nach vorne, mal nach hinten. Und alles Gold ist nur glänzender Farbanstrich, die Kardinalskluft ein Spitzendeckchen, der Königsmantel ein Vorhangstoff. In solcher Kulisse sind die Protagonisten des Kampfs um Englands Krone – egal ob böse, gerecht, naiv oder unentschlossen – vor allem läppisch und albern. Dieses Menschenbild mag wahr sein, ob es einen Theaterabend trägt ist eine andere Frage. Wer will schon stundenlang einem Kindergarten beim Murmelspiel zusehen, auch wenn die Murmeln blutige Wunden schlagen.

Aber Iwersen will mehr. Er instrumentalisiert das Bürgerkriegsdrama zur Pazifismuskritik – und macht es sich dabei unverschämt einfach. Denn sein Heinrich VI. ist kein Pazifist, sondern nichts als ein debiler Trottel. Der reagiert auf alles Schöne und Böse mit traurig-doof-hochgezogenen Clownsaugen, dämlichem Grinsen und tuntig-kraftlosen Bewegungen. Geleistet wird hier keine Überzeugungsarbeit, sondern das Durchdeklinieren der einschlägigen Vorurteile.

Auf den ersten Mord folgt eine Jahrmarktsmoritat. Ein Idiot träumt von Partys auf dem Mond. In solchem Kontext kann Moral natürlich nur gestottert und verhunzt werden. Das Wort „Freiheit“wird frei-gesetzt durch einen wohlmeinenden Schlag auf den Kopf. Süßer Einfall. Aber nach eindreiviertel Stunden Theater sind wir immer noch auf dem Wissensstand vom Anfang: das Leben ist eine Groteske. Dann kam die Pause. Das Stück muß dannach noch eineinhalb Stunden weiter gescherzt, gehöhnt, gealbert haben. Man kann das unterhaltend finden. Oder nicht. bk

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