: „Frauen haben großen Ehrgeiz“
Nach dem Weltcupsieg von Silke Kraushaar nähern sich Deutschlands Rodlerinnen, jede für sich, aber recht optimistisch dem „einzigen Rennen, das zählt“: Olympia ■ Aus Altenberg Peter Unfried
Frauen. In Thomas Schwabs ernstes Gesicht kommt Bewegung. Plötzlich wirkt er gar nicht mehr überlegen wie ein Rodelbundestrainer – bloß noch hilflos wie ein Mann. „Frauen“, sagt er dann, „sind sowieso...“ Er überlegt, wie er den komplizierten Sachverhalt am besten auf den Punkt bringt. „Frauen haben irgendwie einen großen Ehrgeiz.“ Nochmaliges Sammeln, dann: „Ich sag' mal so: einen andereren als Männer.“
Das merkt Schwab (35) jeden Tag bei der Arbeit – und nun, da Olympia nur noch drei Wochen entfernt ist, um so mehr. Seit November zieht das deutsche Rodelteam um die Welt, im sächsischen Altenberg hat man nun die Defizite gegenüber den branchenführenden Österreicherinnen „ein bisserl abbauen können“ (Schwab). Tatsächlich gewann Silke Kraushaar nach dem EM-Titel in der letzten Woche am Samstag auch das Weltcuprennen – vor den Österreicherinnen Neuner und Tagwerker. Daß sie nun gleich die Olympia-Favoritin geben soll, mag sie nicht einsehen. „Ich weiß gar nicht, was auf mich zukommt“, hat sie sich daher als Standardantwort ausgesucht, „in Nagano wird alles anders sein.“
Einiges, alles nicht: Nachdem der Weltverband FIL erstmals seit vielen Jahren wieder eine Luke höher starten ließ, gab die Bahn „eine gute Vorbereitung“ (Kraushaar) ab auf die ähnlich lange in Japan. Die neue Starthöhe brachte Tempozuwächse, mit denen einige Athletinnen nicht zurecht kamen. Die Lettin Iluta Gaile stürzte, brach sich den Mittelfuß und muß Olympia abhaken.
Eine Weltklassefahrerin wie Kraushaar kann mit dem höheren Kufendruck umgehen. Sie fand das Fahren sogar „schöner und leichter“. Kraushaar (27), aus dem thüringischen Sonneberg, hatte im vergangenen Winter dank verbesserter Athletik und Psyche den Durchbruch in das nationale Team geschafft, das lange Zeit eine geschlossene Gesellschaft der Damen Bode, Erdmann, Kohlisch und Otto zu sein schien. Nun darf von denen nur Erdmann nach Nagano, dazu Kraushaar und die heuer erstarkte Bayerin Barbara Niedernhuber. Ein veritabler Umbruch ist das, den Bundestrainer Schwab „gar nicht schlecht findet“.
Kohlisch (34) hat man in Altenberg mit Blumenstrauß verabschiedet, die beiden anderen aber haben mächtig zu knabbern. Jana Bode (28), WM-Zweite 1997, hatte ein Problemjahr und verlor auch noch die Ausscheidung um den vierten deutschen Weltcup-Startplatz gegen Sylke Otto. Die wurde in Altenberg vierte und stellte im zweiten Durchgang gar einen Bahnrekord (54,78 sec) auf. Otto (28) weiß nicht so recht, wie sie sich fühlen soll. „Trotzig“, sagt sie, stuft das Wort aber umgehend als nicht hundertprozentig passend ein. Verletzungsbedingt kam sie zu spät in Form, um die (von ihr akzeptierten) Olympia-Kriterien erfüllen zu können. Daß sie trotz Frust nicht nachgelassen hat, hat existentielle Gründe. „Wenn ich die Saison abgehakt hätte“, sagt sie mit ganz feinem Lächeln, „wäre ich weg.“ Also: aus dem A-Kader gefallen. Auch ihr privater Sponsor hätte Gelder gekürzt. Während Bode das Aus droht, kann Otto es mit vernünftiger Infrastruktur neu probieren. Aber es ist hart: Die neue Saison beginnt für sie am Königssee, wenn die Kolleginnen in Nagano um Gold rodeln.
Olympia! Wenn Olympia ist, wendet plötzlich die Nation den Blick auf die Nischensportart und erhebt donnernd die Forderung: Gold her! Das ist möglicherweise von einer gewissen Logik, da das Innenministerium der Hauptsponsor des Bob- und Schlittensportverbandes ist – und alle drei Olympiafahrerinnen (und Otto auch) als Soldatinnen geführt werden.
Im Teamhotel jedoch trinkt Susi Erdmann heiße Schokolade und macht ein Gesicht wie sieben Tage Regenwetter, „Olympia“, sagt sie, „ist das einzige Rennen, das zählt.“ Das sei „schlimm.“ Sie hat einmal Bronze, einmal Silber gewonnen, doch die Erfahrung machen müssen, daß „unsere Gesellschaft nur Gold sehen will“. Erdmann (29), amtierende Weltmeisterin, ist 1,86 m groß, weswegen sie mittels Athletik und langer Arme am Start die Beste ist – aber unterwegs mangels Aerodynamik Probleme bekommt. In Altenberg fuhr sie zweimal Startbestzeit, war aber am Ende sechste. Aber, das wissen und fürchten die anderen: Sie ist immer da, wenn es zählt – und besser, wenn die Kurven nicht eng, sondern wie in Nagano langgestreckt sind.
Gleiten muß frau dort können. Daher sind die im Fachterminus „kompakt“ genannte Andrea Tagwerker und Angelika Neuner dank ihrer „unwahrscheinlich guten aerodynamischen Fahrhaltung“ (Schwab) schwer zu schlagen. Die beiden Österreicherinnen machten auch im Altenberger Kohlgrund unten beträchtlich Zeit gut.
Bei den Olympia-Tests kam Barbara Niedernhuber (23) am besten zurecht. Vom Königssee stammend, hat sie gegenüber den ostdeutschen Frauen den Vorteil, den besten Schlittenbauer überhaupt zu beschäftigt – den zweifachen Olympiasieger Georg Hackl. Der wurde zwar gestern nur vierter, weit hinter Markus Prock (Österreich), aber seine angeblich im Schrank bereitliegenden Wunderkufen haben die Konkurrenz schon wieder verunsichert.
Nachdem auch der Doppelsitzer Krauße/Behrendt nach der EM auch in Altenberg gewonnen hat, läuft das Unternehmen Olympia für den Bundestrainer „eigentlich recht ruhig“. Den Druck, Medaillen zu holen, um dem BMI Existenzberechtigung nachzuweisen, „sind wir eigentlich gewohnt“ (Schwab). Eine Medaille pro Disziplin soll es sein – das klingt machbar in einer Sportart, in der neben den Deutschen, Österreichern und Südtirolern bloß das US-Luge- Team dank potenter Sponsoren einigermaßen mithalten kann.
Daß das Ziel Olympiamedaille gemeinsam erarbeitet wird, braucht aber keiner glauben. Jeder Schritt der Kollegin wird registriert – und jedes Interview. Anfragen versucht Schwab möglichst gleichmäßig zu verteilen. Daß Jana Bode derzeit fehlt, die mit Erdmann gerne um die Protagonistinnenrolle focht? Um es in den Worten des Diplomaten Schwab zu sagen: „Die Stimmung ist bestimmt nicht schlechter als vorher.“
Es ist eben so: Von den acht Weltbesten sind vier Deutsche. Nach jeder Trainingseinheit, in der eine langsamer ist, sagt Schwab, „geht's schon los“. Nun, da man heute zum Weltcupfinale nach Winterberg umzieht, grübelt Weltmeisterin Erdmann, ob die Entscheidung, auf einen neuen Schlitten umzusteigen, ihr den Rückstand eingebracht hat. Es ist nicht einfach mit seinen Frauen. Aber irgendwie, sagt Thomas Schwab und ist jetzt wieder ganz Bundestrainer, „irgendwie hat uns dieser Ehrgeiz auch nach vorne gebracht.“
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