Analyse: Römische Order
■ Der Papst und der Streit um die kirchliche Schwangerschaftsberatung
Der Vatikan beherrscht die Kunst, seine Gläubigen auf die Folter zu spannen. Streng vertraulich wird derzeit hinter den Mauern der Heiligen Stadt in Rom eine Erklärung zum deutschen Abtreibungsrecht gehütet. Wie bei der Wahl des obersten Kirchenhauptes darf sich die Öffentlichkeit bis zur Offenlegung in Mutmaßungen ergehen. Wohl erst nach seiner Kuba-Reise, wahrscheinlich am 26. Januar, wolle Papst Johannes Paul II. den Ausstieg der katholischen Sozialdienste aus der deutschen Schwangerschaftsberatung ankündigen, lauten die Spekulationen. Der „Apostolische Brief“ zur Abtreibung soll fertig sein, nur die Unterschrift von Karol Wojtyla fehle noch. Seit langem ist dem Papst und dem für Glaubensfragen zuständigen Kardinal Joseph Ratzinger die Teilnahme der katholischen Sozialdienste an der staatlichen Schwangerschaftsberatung ein Ärgernis. Von den 1.685 Beratungsstellen, die vom Staat finanziell gefördert werden, gehören 259 zu den beiden großen katholischen Wohlfahrtsorganisationen Caritas und Sozialdienst katholischer Frauen (SKF). Wie alle anderen stellen sie auch den Beratungsschein aus, der seit der Neufassung des §218 im Jahr 1995 für einen Abbruch vorgelegt werden muß.
Nicht nur Caritas und SKF fragen sich, ob die päpstliche Anordnung dem Beispiel des Bistums Fulda folgen wird. Dort läßt Bischof Johannes Dyba seit 1993 in den kirchlichen Beratungsstellen keine Scheine mehr ausstellen. Die kirchliche Basis hat in den letzten zwölf Monaten verstärkt auf die Bischöfe eingewirkt. Als im Mai letzten Jahres eine Delegation von 27 Bischöfen nach Rom reiste, um mit Ratzinger zu diskutieren, wurden sie mit umfangreichem Material versorgt. Nur zehn Prozent der Frauen halte nach dem Gespräch in der katholischen Schwangerschaftsberatung an einer Abtreibung fest, lautet ein damals wie heute vorgebrachtes Argument. Nach wie vor ist die deutsche Bischofskonferenz, allen voran ihr Vorsitzender Karl Lehmann, mehrheitlich für die Teilnahme am staatlichen Beratungssystem. Und auch Bundeskanzler Helmut Kohl machte kürzlich vor dem Kabinett deutlich, daß er keine Änderung der Gesetzeslage wünscht. Der Seitenhieb zielte zwar auf Familienministerin Claudia Nolte, die eine Änderung im Zusammenhang mit der Abtreibung von beschädigten Föten nach der 20 Woche angemahnt hatte. Allgemein wurde Kohls diplomatisch geschickte Intervention aber auch als Hinweis an Rom verstanden.
Sollte der Papst dennoch einen Austritt der katholischen Beraterstellen verlangen, bliebe den Bischöfen immer noch ein individueller Spielraum. Die Würdenträger müßten dann jeweils für sich entscheiden, ob sie in ihrem Bistum der Weisung Folge leisten. Severin Weiland
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