Erstklassiges für die Oberschicht

■ Die S-Bahn testet das Klassenbewußtsein der Hauptstädter: Probelauf in der Stadtbahn mit 1.-Klasse-Abteilen. Akzeptieren die Berliner höhere Preise bei ruhigen, reservierten Plätzen?

Für ihre Kunden hält die S- Bahn derzeit einen besonderen Service bereit: eine Fahrt in einem Abteil der 1. Klasse zum Preis der 2. Klasse. Auf lila- statt türkisfarbenen Sitzen kann der Möchtegern-Oberschichtler in den neuen Viertelzügen der Baureihe 481 durch die Stadt gondeln und sich einbilden, etwas Besseres zu sein. Denn seit kurzem läßt die S-Bahn auf den Strecken nach Potsdam und Pichelsdorf testen, ob sich Berlin als Klassengesellschaft eignet.

Noch ist der kleine Unterschied sehr klein: Nur durch die andere Farbe und eine kleine „1“ auf der Glasscheibe unterscheiden sich die zwölf Sitzplätze am Ende des Waggons vom gemeinen Volk. Doch während die so unterteilten Viertelzüge durch die Stadt zischen, veranstaltet die S-Bahn eine Umfrage unter ihren KundInnen, ob ihnen eine solche Unterteilung behagt. Wären die Leute bereit, für ein erstklassiges Ticket mehr Geld zu bezahlen und dafür im Berufsverkehr ihre Ruhe zu haben? Würde die Unterschicht der 2. Klasse die Extratouren der Oberschicht akzeptieren? „Gegenwärtig ist die Sympathie für einen solchen Vorschlag noch nicht groß“, heißt es bei der S-Bahn.

„Wir wollen unser Produkt attraktiver machen“, sagt der Sprecher der S-Bahn, Gottfried Köhler. Dazu solle das „Niveau gehoben werden“, um auch die betuchte Kundschaft dazu zu bringen, die Nobelkarosse stehen zu lassen und in die S-Bahn zu steigen. Denkbar ist für Köhler ein geschlossenes 1.- Klasse-Abteil im Wagen, dessen Tür zum 2.-Klasse-Abteil etwa nur „mit einer Chipkarte“ geöffnet werden kann. Für einen höheren Preis böte das Nobelabteil Schutz vor der Drängelei im Rest des Wagens – „an eine Abteilung mit Vorhängen ist aber nicht gedacht“. Die Erprobung habe gerade erst begonnen, meint Köhler, doch „bisher reichen die Informationen nicht, um zu sagen, wann wir bei der Verkehrsverwaltung eine 1. Klasse beantragen“. Das werde „nicht morgen, vielleicht auch nicht übermorgen“ passieren.

Hintergrund des Versuchs ist der immer intensivere Kampf zwischen S-Bahn und BVG um Kunden. Während die BVG in den letzten Jahren deutlich Fahrgäste verloren hat, legt die S-Bahn ständig zu. Die beiden Nahverkehrskonzerne streiten um die Einnahmen aus den Tickets und um die Gestaltung des zukünftigen Tarifverbundes. Nach der Weigerung der Verkehrsverwaltung, der S-Bahn Expreßzüge ins Umland zu genehmigen, sucht die Bahn-Tochter nach neuen Wegen, um Autofahrer zu S-Bahn-Nutzern zu machen. Den gutbezahlten Manager oder Abgeordneten, der sein Häuschen im Grünen hat und in der Innenstadt arbeitet, will sie deshalb mit allem Komfort an den Arbeitsplatz bringen. Bernhard Pötter