: „Der Funke ist übergesprungen“
■ Angelika Beier (42), Sprecherin der Koordinierungsstelle der gewerkschaftlichen Arbeitslosengruppen, über den Arbeitslosenprotest
taz: Deutsche Arbeitslose blockieren die ICE-Strecke Hamburg–Berlin. Ein realistisches Szenario?
Angelika Beier: Schwer zu sagen. Wir sind überrascht von dem Echo auf unseren Aufruf zum Aktionstag am 5. Februar. Der Funke ist übergesprungen. Ob daraus ein Brandherd wird, läßt sich noch nicht sagen.
In Frankreich besetzten Arbeitslose ein Edelrestaurant und wurden mit Hummer und Lachs abserviert, Sie wollen mit „erprobten Aktionsformen“ vor die Arbeitsämter ziehen: „Suppenküche mit Kohl-Eintopf“ usw. Fürchten Sie nicht den Vorwurf der Altbackenheit?
Nein. Wir hatten gleich an radikalere Aktionsformen gedacht, aber hatten Bedenken, daß nicht alle Initiativen mitziehen würden. Das ist jetzt überhaupt kein Thema mehr. Es ist klar, daß die Arbeitslosen in die Ämter reingehen werden. Die Direktoren scheinen sich darauf vorzubereiten und überlegen, welche Plätze sie den Besetzern anbieten können.
Das alles erscheint recht zahm.
Es wird sicher noch andere Aktionen geben. Schon jetzt fragen viele: Warum geht ihr nicht vor die Parteizentralen, die Unternehmerverbände, Börsen? Das kommt.
Warum braucht es das Vorbild Frankreich, bis in Deutschland etwas geschieht?
Es hat auch in der Vergangenheit zahlreiche Aktionen von Arbeitslosen gegeben, die aber kaum wahrgenommen wurden. Durch das Geschehen in Frankreich bekommt die Bewegung eine neue Brisanz.
Ihre Koordinierungsstelle wird hauptsächlich von Gewerkschaften finanziert. Haben Arbeiter und Arbeitslose die gleichen Interessen?
Ja, sicher. Alle verbindet das Interesse an sinnerfüllten, existenzsichernden Arbeitsplätzen. Allein können Arbeitslose wenig erreichen, ihnen fehlen die Logistik und die Popularität.
Wo hinkt der im Augenblick vielbemühte Vergleich zu Frankreich?
„Frankreich brennt, Deutschland pennt“, habe ich irgendwo gelesen. Die beiden Länder lassen sich überhaupt nicht vergleichen. In Frankreich ist gerade eine Mitte-links-Regierung angetreten. Die Leute haben Mut bekommen, ihre Forderungen zu stellen. In Deutschland hat sich unter 15 Jahren Kohl allerorten Resignation breitgemacht.
Wo sind die deutschen Intellektuellen, die Partei für die Arbeitslosen ergreifen?
Mir fallen keine ein.
Wollen Sie, daß sich wie in Frankreich auch Studenten mit den Arbeitslosen solidarisieren?
Jeder ist willkommen.
Sie wollen jeden Monat an dem Tag demonstrieren, an dem die Arbeitslosenzahlen bekanntgegeben werden. Wo bleibt die Spontaneität?
Fragen Sie das doch nicht mich, fragen Sie das doch mal die Arbeitslosen. Soll ich Ihnen ein paar nennen? Interview: Ariel Hauptmeier
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