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Das poetische Labyrinth hinter den Augen

■ Klar geträumt: Filme von Hammid und Maya Deren im Metropolis

Jede Pore ein Krater, jede Linie ein Schützengraben. Anais Nin mußte schlucken, als sie sich zum ersten Mal in Ritual in Transfigured Time (1945) sah: „Noch nie so deutlich wie bei Maya hatte ich die Macht gesehen, etwas durch das Auge hinter der Kamera häßlich zu machen.“Dabei hätte die Empörte eigentlich nur das Kleingedruckte lesen müssen. Besonders eine Zeile aus einem Gedicht, das Maya Deren ihr vor den Dreharbeiten sandte: „Dein blasses Gesicht vor dem Spiegel wird Dir schließlich nicht mehr spiegelverkehrt zurückgegeben.“

Warnung und Programm zugleich. Den Experimentalfilmen von Maya Deren und ihrem Mann Alexander Hackenschmidt, alias „Hammid“, stand nichts ferner als nahtlose Traumfabrikationen, wie sie in Hollywoods geölter Maschinerie in jener Zeit gerade in Serie gingen. Deren wie Hammid zielten nicht auf Abbilder, sondern auf nichts geringeres als die Produktion einer neuen und eigensinnigen Realität. Ihre Filme, die das Metropolis nun anläßlich Hammids 90. Geburtstags zeigt, fahndeten nach Parallelwelten. Erkundungszüge in einen okkulten Raum, irgendwo zwischen innerer und äußerer Realität, an deren Schnittstellen Effekte wie Doppelbelichtungen und Achsensprünge magische Funken schlagen. Eine „totale Erfahrung“sollte es sein, die sich auf dem 16mm Zellu-loid hinter dem Auge der Kamera bricht.

Meshes of the Afternoon (Fotos) von Deren und Hammid, ist vielleicht hierfür das schönste Beispiel . Der 14-Minuten-Film von 1943 ist ein poetisches Labyrinth aus mehrfach gesplitteten Selbstbeobachtungen. Wie ein Zaungast eines traumatischen Hase-und-Igel-Rennens beobachtet ein Mädchen sich selbst. Es sieht sich dabei zu, wie es dreimal – und zwar vor der Selbst-Zuschauerin – nach Hause kommt. Wie in surrealistischen Filmen werden die Teilchen einer zerschlagenen Realität schockartig gegeneinander montiert. Unbelebte Dinge entwickeln unverhofft bösartige Energien. Ein Messer im Bett, eine gestaltenschluckende Kurve, ein verlorener Schlüssel, der andernorts wieder ausgespuckt wird. Ebenso wie Hammids Aimless Walk (1930), in dem ein Mann seinen Blick bei einem Ausflug streunen läßt, sich schließlich verdoppelt, um sein Zweitwesen in die S-Bahn zurück in die Stadt zu setzen, sind Derens Experimente ein Knicks vor der anarchischen Kraft der Imagination. Ihr stellt sie das illusionistische Labor der Filmtechnik zu Verfügung, auf daß sie gemeinsam Welten basteln, in denen die Schleichwege der Gedanken und Empfindungen ihre Möbius-Schleifen ziehen.

Deren, die 1917 in Kiew als Eleonora Derenkovskij und als Tochter eines jüdischen Psychiaters geboren wurde, emigrierte Anfang der 20er Jahre nach New York. Sie beschäftigte sich mit Forschungen zu Hysterie, Obsession und Voodoo-Ritualen und erkämpfte sich erfolgreich in der reservierten New Yorker Kunstszene einen Platz als Experimentalfilmerin. Inzwischen gilt Deren, die bereits mit 44 Jahren an einer Hirnblutung starb, vielen nicht nur als wichtigste Initiatorin des „New American Cinema“, sondern auch als eine Art Mutter der Performance- und Happening-Szene.

Hammid fertigte erst Spots für den Schuhfabrikanten Bata und schien auch sonst zunächst das Einträgliche mit dem Eigensinnigen zu verbinden. Auf einer Schuhverkaufsreise nach Indien drehte er einen ethnologischen Dokumentarfilm. In Zusammenarbeit mit Herbert Kline entstand dann 1941 The Forgotten Village. Eine Halbdokumentation, die mit Laiendarstellern die Geschichte eines mittelamerikanischen Dorfes spiegelt, in dem man sich lieber Medizinfrauen anvertraut, als sich die Moderne in Pillenform einzuverleiben.

Hammid produzierte mit Boris Kaufmann (The Gentleman in Room Six) und lieferte dem amerikanischen Kriegsministerium humanistisch geprägte Propagandafilme (Arturo Toscanini, the Hymn of Nations). Doch immer wieder unterbrach er seine Auftragsarbeiten für Autorenfilme mit Maya Deren. Werke wie The Private Life of a Cat entstanden. Und auch Anais Nin notierte wieder hingerissen: „Maya Deren..., mit ihrer Fähigkeit klar zu träumen und aus dem Fluß des Unbewußten Wesentliches herauszuziehen, bewältigt eine solche Transkription ... mit einem großem Gefühl für die Bedeutung des bewegten Bildes als neuem Medium.“ B. Glombitza

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