Giftbilanz muß neu errechnet werden

■ Eine vernichtende Studie zur Rendite von Pestiziden auf dem Acker wird vom Landwirtschaftsministerium nicht veröffentlicht

Berlin (taz) – Wie das so ist mit unliebsamen Gutachten: Ihre Veröffentlichung kann sich schon mal hinziehen. Was die Landwirte an Pestiziden aussprühen, richtet jährlich mindestens 252 Millionen Mark Schaden an – allein in den alten Bundesländern. Das geht aus einer unveröffentlichten Studie im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums hervor. Die Wirtschaftlichkeit des Pestizideinsatzes werde „tendenziell überschätzt“. Die Studie war 1991 bei Hermann Waibel von der Uni Hannover in Auftrag gegeben worden, vergangenen Juni wurde sie fertig, seitdem wird sie in Bonn von Tisch zu Tisch geschoben.

Die Ergebnisse Waibels sind vernichtend für das Ministerium: Die „derzeitigen gesetzlichen und politischen Bedingungen“ lassen „eine Reduzierung des Pestizideinsatzes nicht erwarten“. Angesichts der hohen Kosten sei die „Pflanzenschutzpolitik grundsätzlich zu überdenken“. Der Autor schlägt vor, die Einführung einer gezielten Abgabe auf Pflanzenschutzmittel zu prüfen.

„Ich habe den Verdacht, daß die Ergebnisse nicht der Erwartung des Landwirtschaftsministeriums entsprachen“, feixt WWF-Experte Udo Jacob. Er ist skeptisch, ob Minister Jochen Borchert die Studie überhaupt noch veröffentlichen wolle.

Im einzelnen setzen sich die Folgekosten laut Studie so zusammen: 128 bis 186 Millionen Mark jährlich kostet die Trinkwasserverschmutzung durch Pestizide, 66 Millionen für die Kosten der Forschung zu Pestiziden, je 23 Millionen Mark für die Lebensmittelüberwachung und allgemeine Gesundheitsbelastungen, 10 Millionen für den Rückgang der Artenvielfalt und 2 bis 4 Millionen die Vergiftung von Honigbienen.

„Wichtige Bereiche können jedoch derzeit nicht bewertet werden“, führt die Studie weiter aus, vor allem chronische Krankheiten und langfristige Auswirkungen auf die Böden. Zwar geben die Autoren eine Berechnungsformel für Krebsfälle durch Pestizide aus den USA an, ohne sie aber durchzurechnen. „Rechnet man das aus“, erklärt Udo Jacob vom WWF, „kommt man auf 224 Millionen Mark extra, allein in den Alten Ländern“. Nimmt man die obere Grenze für die Trinkwasserschäden (186 Millionen Mark) hinzu, steigen die Kosten des Pestizideinsatzes auf 536 Millionen Mark.

Der Einnahmeausfall für die Bauern beim Verzicht auf Pestizide liegt bei etwa 1.150 Millionen Mark im Jahr, das sei weniger als ein Zwanzigstel des Profits im Agrarsektor, so die Studie.

Also Stoff genug, um noch einmal genau über neue Instrumente gegen die 30.000 Tonnen Pestzid zu erwägen, die jährlich in Deutschland gesprüht werden. Die Gelegenheit ist günstig: Das Pflanzenschutzgesetz schmort gerade im Vermittlungsausschuß von Bundesrat und Bundestag. Matthias Urbach