piwik no script img

„Nur ein Bekloppter“

■ Frau Kahrs macht Politik, Einar Schleef spricht

Bei der Verleihung des Bremer Literaturpreises beeindruckte Kultursenatorin Kahrs durch einen dialektischen Purzelbaum. Erst rühmte sie Einar Schleef als Unangepaßten, Verweigerer, Sich-Sperrenden (circa zwei Minuten), dann warb sie (circa zehn Minuten) für McKinsey und die Operettisierung der Kultur. Manche können eben nie aufhören, Politik zu machen. Wo Einar Schleef schon einmal da war, um den Preis für seine Theatertheorie „DrogeFaustParsival“einzuheimsen, nutzte die taz die Gelegenheit und ließ den bescheidenen, sympathischen Mann eine zwar gewagte, doch spannende Umwertung der Werte „Klassiker“und „Moderne“vornehmen. Faust und die Weber: die wahre, teilunterdrückte Avantgarde. Natürlich zwängen wir den Dialogskeptiker und Chor- bzw Monologfreund nicht in ein Interviewkorsett. Es folgt ein Schleefscher Monolog:

„Es ist doch interessant: Die Werke, die in den Schulbüchern gefeiert werden, kommen auf der Bühne kaum mehr vor. Wer spielt denn noch die politischen Stücke Hauptmanns oder Faust II? Allein schon aus rein technischen Gründen würden sie dieses unser Staatstheater zusammenbrechen lassen. Da bräuchte es den geballten Einsatz eines großen Ensembles. Und das gibt es eben kaum mehr.

Deshalb schreiben die modernen Autoren praktikable „paßechte“Stücke für kleine Besetzung. Die einzige, die sich diesen Zwängen nicht unterworfen hat, ist die Jelinek. Und auch von Heiner Müller gibt es so einiges, was herrschende Theatervorstellungen – zum Beispiel die zentrale Stellung des Dialogs der Individuen – außer Kraft setzt. Auch aus diesen pragmatischen Gründen also sind die alten Schinken als Meßlatte formaler Errungenschaften noch immer unübertroffen. Die Alten sind vorbildhaft gebaut.

Wenn zum Beispiel die Jelinek einen 45-Minuten-Monolog schreibt, dann schreit der geradezu danach, verglichen zu werden mit dem Eingangsdialog des Fausts.

In meinem Buch kommen zeitgenössische Stücke nicht vor, weil sie in meiner Biographie ganz einfach keine Rolle spielten. Natürlich würde ich auch Zeitgenossen inszenieren, nur: der Betrieb bietet sie mir nicht an. Ein eigenwilliger Regisseur darf kaum einmal einen eigenwilligen Autoren inszenieren. Irgend etwas scheint dafür zu sorgen, daß man nur höchst selten an ein Stück kommt, das in die eigene Biographie paßt. Den Faust konnte ich übrigens gleich drei Mal machen – und zwar weil kein anderer Regisseur darauf scharf war. Nicht anders bei Jelineks Sportstück. Wer macht sich denn schon die Arbeit und wühlt sich ein in das inkommensurable Werk, diese Endlosoper mit ihren 20 minütigen Monologen. (Die Redaktion: angeblich war Schleef hier keineswegs eine Notlösung, sondern – im Gegenteil – Jelineks Wunschpartner.) Das konnte doch nur ein Bekloppter machen.

Das „Positive“dieser Bundesrepublik ist doch das: Wir haben unsere Individualität – und unsere Vereinsamung. Und dieser Zustand wird verteidigt, als sei er das Paradies, zwar nicht ohne Schreckensbilder, aber auch voller Schönheit, Zuneigung usw. Die klassischen Autoren dagegen versuchen, die Masse auf die Bühne zu hieven, teils als Volk und Menge, bei Hauptmann dann als Klasse mit proletarischem Zuschnitt. Und diese Massen wirken so oder so krank und können damit mehr aussagen über heutige Konstellationen etwa in Jugoslawien als jeder moderne individualistische Interpretationsversuch. Und auch der Fixermonolog im Faust ist moderner als zeitgenössische Drogenliteratur. Das zu vermitteln ist eines meiner zentralen Anliegen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen