„Wir machen den Kapitalisten keine Vorwürfe“

■ Wu Hongbo ist Sprecher der Pekinger Zentralregierung in Hongkong. Er meint, daß China und die anderen asiatischen Staaten aus der Wirtschaftskrise lernen und gestärkt hervorgehen werden

Wu Hongbo ist die offizielle Stimme Pekings in Hongkong. Der außenpolitische Veteran – 14 Jahre lang verhandelte Wu mit London über die Rückgabe der Kronkolonie – bezog am Tag der Hongkong- Übergabe am 1. Juli 1997 sein Sprecher-Amt im neuen Glaspalast des chinesischen Außenministeriums.

taz: Seit in Hongkong die Aktien fallen, redet alle Welt von der Asien-Krise. Wird die Krise auch China erwischen?

Wu Hongbo: Es handelt sich um eine Wirtschaftskrise, deren Ursachen weder in China noch in Hongkong, sondern in anderen Ländern liegen. Bei genauem Hinsehen ist China das Land der Region, das von der Krise nicht schlimm getroffen wurde. Wir erwarten auch in diesem Jahr ein Wirtschaftswachstum von acht Prozent.

Wie soll das gehen, wenn die Auslandsinvestitionen, die bisher größtenteils über Hongkong China erreichen, als Wachstumsquelle versiegen?

Für den Start ins nächste Jahrhundert braucht China die finanzielle Unterstützung Hongkongs. Wir machen uns deshalb jedoch keine Sorgen: Aufgrund seiner großen Währungsreserven, seiner guten gesetzlichen Rahmenbedingungen und der Unterstützung Pekings wird Hongkong einer der ersten Plätze Asiens sein, der sich von der Krise erholt.

Die Befürchtungen, daß die Anbindung des Hongkong-Dollars an den US-Dollar reißt, sind nicht aus der Welt zu reden. Die chinesische Krise würde dann erst beginnen.

Das ist der Grund, weshalb die chinesische Regierung mit der Stimme von Vizepremier Zhu Rongji erklärt hat, daß China seine eigene Währung nicht abwerten wird. Dies ist eine sehr deutliche Unterstützung für die Bemühungen Hongkongs, seine Anbindung an den US-Dollar zu verteidigen.

Ist Hongkong bereits nicht mehr in der Lage, seine Position eigenständig zu sichern?

Finanzpolitisch lassen sich Hongkong und das übrige China nicht mehr auseinanderdividieren. Wenn wir verlieren, wird auch Hongkong verlieren, und umgekehrt. Das gilt ungeachtet der Tatsache, daß Hongkong in allen finanzpolitischen Entscheidungen volle Autonomie genießt und die Pekinger Regierung den zuständigen Behörden in Hongkong nichts vorzuschreiben hat.

Würde China jetzt seine Währung abwerten, stünde eine neue Abwertungsrunde bevor, und alle bisherigen Stabilisierungsbemühungen in der Region – etwa des Internationalen Währungsfonds – wären sinnlos gewesen. Erwartet China nun leichtere Zutrittsbedingungen zur Welthandelsorganisation WTO, wenn es weiterhin mit der Stabilitätspolitik des Westens kooperiert?

Die chinesische Regierung ist bereit, mit dem Rest der Welt für eine gesunde Entwicklung der Weltwirtschaft zusammenzuarbeiten. Vor diesem Hintergrund ist es weder fair noch vernünftig, China weiterhin aus der WTO auszuschließen. Wir sind heute die zehntgrößte Handelsnation der Welt. Ohne China ist die WTO keine echte Weltorganisation.

Wo sehen Sie die tieferen Gründe für die asiatische Wirtschaftskrise?

Die Ursachen der Krise sind vielfältig und komplex. Einige kritisieren die internationalen Spekulanten. Andere zeigen auf die Schwächen im Finanzsystem vieler asiatischer Länder. Wieder andere nennen die Korruption in der Politik als größtes Problem. An allem ist etwas dran.

Wird China den USA und Europa vorwerfen, der westliche Kapitalismus sei schuld an der Krise?

Einen solchen Vorwurf hat bisher kein Verantwortlicher von unserer Seite erhoben. Es war Henry Kissinger, der als erster eine antiamerikanische Stimmung in Asien prophezeite. Ich selbst sehe das bisher nicht. Die Krise zwingt jeden in Asien zu neuen Überlegungen. Doch wenn man die richtigen Lehren aus der Krise zieht, wird Asien bald stärker und reicher als vorher sein.

Von welchen Lehren sprechen Sie?

Wenn man den Finanzmarkt öffnet, ohne daß das eigene Bankensystem darauf vorbereitet ist, gerät man in große Schwierigkeiten. Das ist eine Lehre. Oder schauen Sie nach Süd-Korea: Dort arbeiteten die großen Unternehmen als Team mit der Regierung, um den Weltmarkt schneller zu erobern. Erst waren sie dabei sehr erfolgreich, nun aber sitzen sie auf einem riesigen Schuldenberg. Wir werden alle Beispiele, ob gut oder schlecht, genau verfolgen.

Das gute Beispiel für China sollte bisher Hongkong sein. Was bleibt davon noch übrig?

Vor der Übergabe Hongkongs sagten die Leute, wirtschaftlich gebe es keine Probleme, aber politisch sei die Zukunft ungewiß. Heute heißt es, die politische Lage sei stabil, aber die wirtschaftliche Aussicht getrübt. In Wirklichkeit geht es Hongkong gut. Eine Korrektur des überbewerteten Aktienmarkts war ohnehin notwendig. Die politische Maxime – ein Land, zwei Systeme – hat sich bewährt. Neulich berichtete mir der Hongkonger Finanzminister Donald Tsang, daß er früher in Krisenzeiten ständig Telegramme mit Anweisungen aus London bekommen hätte. In den letzten Monaten aber habe er nicht ein einziges Papier aus Peking erhalten. Interview: Georg Blume