Alle stimmen überein, aber es passiert nichts

■ Jochen Geppert, Psychologiestudent und Streikaktivist an der Freien Universität Berlin, zieht ein Resümee des Uni-Streiks: Die Aktionen waren kein Reinfall, und der Kampf geht weiter

taz: Vor Weihnachten demonstrierten 140.000 allein an einem Tag gegen Bildungsabbau. So viele wie nie zuvor in der Bundesrepublik. Und jetzt geht nichts mehr. Ist der Studentenprotest tot?

Jochen Geppert: So wie bisher geht's jedenfalls nicht weiter. Und was im Sommer sein wird, da möchte ich ungern Prognosen abgeben. Es gab aber eine Auseinandersetzung der Studierendenschaft mit Hochschulpolitik wie seit Jahren nicht mehr. Das hat ja auch der Kongreß Bildung und Gesellschaft gezeigt: daß es einen inhaltlichen Konsens darüber gibt, wofür man auf die Straße gegangen ist.

Trotz der mehr als 2.000 TeilnehmerInnen war der Kongreß ja nicht gerade ein Startschuß für die Fortsetzung der Proteste 1998.

Es war auf keinen Fall ein Reinfall. Die Schlußerklärung hat doch deutlich gezeigt: Die Studierenden haben eine Verständigung darüber erzielt, daß es so nicht weitergehen kann. Man muß sich das mal vorstellen: Obwohl nichts vorbereitet war, keine Gruppe was durchpowern wollte, ist da eine breit getragene gemeinsame Erklärung entstanden. Es war das totale Gegenbild zu einem Parteitag, wo die Regie alles genau festlegt. Außerdem wurden Forderungen für die aktuelle Novelle des Hochschulrahmengesetzes entwickelt.

Was ist deren Kern?

Keine Studiengebühren und die Demokratisierung der Universität. Die Grundlinie lautet, die Entscheidungsstrukturen – also Gremien wie den Fachbereichsrat oder den Akademischen Senat – weiter für studentische Beteiligung zu öffnen. Von der Professorenschaft gibt es nur Solidarität für die Forderung nach mehr Geld. Aber was die Hochschule sein soll, dazu kommt so gut wie nichts.

Machen die Streiker jetzt wieder brav ihre Scheine?

Ein Teil versucht sicher das Semester irgendwie zu retten. Aber viele machen auch weiter in den Instituten – wie an der FU, wo die Soziologie und die Ethnologie besetzt sind. Die Germanisten haben sogar ein „Roman-Herzog-Institut“ mit einem eigenen Seminarprogramm gegründet. Ähnlich fangen die Leute auch anderswo an, die verrotteten Strukturen der Unis zu unterlaufen. Einige meinen auch, in die FDP eintreten zu müssen.

Eine Zersplitterung in Einzelinitiativen.

Ja, es hat sich auch verlaufen. Die Studierenden waren nicht darauf eingestellt, daß sich niemand ernsthaft mit ihnen auseinandersetzt. Sie haben in massiver Form gesagt: An der Uni und in der Gesellschaft ist was nicht in Ordnung. Aber keiner hört ihnen zu.

Es gab doch überall Solidarität. Egal welche Partei, egal ob in Bund oder Land, alle Politiker meinten: Ihr habt ja so recht.

Aber das hatte nirgendwo Konsequenzen. Die Studierenden haben die frustrierende Erfahrung gemacht: In der Bundesrepublik bekommt man nach 16 Jahren Kohl viel Beifall für die berechtigte Kritik, daß die Hochschulen unterfinanziert sind, daß sie undemokratisch sind, daß die Lehre nicht mehr funktioniert. Aber weder die Politik noch die Medien haben doch ernsthaft den Versuch unternommen, herauszufinden, was eigentlich kaputt ist.

Viele 68er sagten: Diese Studentenschaft ist unpolitisch.

Das ist doch Unsinn. Ich habe viele Erstsemestler getroffen, die von dem Gefühl umgetrieben werden, daß in Deutschland was auf der Kippe steht. Also eine Form von Zivilisiertheit, die an die finanzielle Absicherung von Errungenschaften wie etwa das Bafög gebunden ist. Die fühlen sich davon persönlich betroffen, was ihre Zukunft, ihre Lebensperspektive angeht. Aber es ist auch eine Frage der Gestaltbarkeit unserer Gesellschaft: Selbst wenn alle darin übereinstimmen, daß sich was ändern muß, bleibt alles festgefahren.

Wer hat da eigentlich gestreikt? Enttäuschte Bürgerkinder, benachteiligte Arbeitersöhne und -töchter?

Also Arbeiterkinder gibt's kaum noch an der Uni. Die sind schon ausgeschlossen. Das ist ein Ergebnis der Demontage der Ausbildungsförderung. Das Leitbild der 80er Jahre, gutsituierte Studis mit Auto vor der Tür, das ist nicht mehr der Mainstream. Nein, die Selbstverständlichkeit, daß Angestellte und Beamte ihren Kids ein Studium finanzieren können, die schwindet. So was kostet 70.000 Mark bei normaler Studiendauer, aber die ist ja meistens gar nicht haltbar bei den miserablen Bedingungen. Deswegen ist der Protest gegen Studiengebühren auch so vehement. Wenn die kommen, ist für viele Sense. Das wissen die. Interview: Christian Füller