■ Nachschlag: Zum Abschied türkischen Hardcore: Jerewan und Hasret in der Plötze
Die Frauenvollzugsanstalt Plötzensee wird Ende Februar aufgelöst, die Insassinnen werden auf vier andere Knäste verteilt. Kein Grund zum Feiern – trotzdem gab es am vergangenen Dienstag ein unvergeßliches „Abschiedskonzert“, das der Verein zur Förderung von Kultur und Information für Gefangene organisiert hatte.
Von den fünfzig aufgedrehten, meist jungen Frauen im Veranstaltungssaal, fangen einige sofort an, zur Musik aus der Konserve zu tanzen. Pfarrerin Brigitta Stolz kritisiert die geplante Verlegung: „Weniger Platz für die Frauen und schlechtere Chancen auf einen Aubildungs- oder Arbeitsplatz sind die Folge.“ Der Senat begründet die Verlegung damit, daß die Anstalt für die Frauen zu groß geworden – nur 136 der 270 Plätze sind belegt –, daß sie nicht frauenspezifisch sei. Frauenspezifisch seien kleine, dezentrale Betreuungseinheiten.
Zu den ersten Tönen der Balkanrocker Jerewan stürzen sich zehn Osteuropäerinnen auf die Tanzfläche und fordern die einige Köpfe größeren Männer „von draußen“ auf, mit ihnen folkloristisch im Kreis zu tanzen. Fast alle anderen Frauen – ob in Adidas-Hosen, engen Jeans oder mit Kopftuch, folgen dem Beispiel.
Rund 70 Prozent der Frauen sind ausländischer Herkunft, deshalb die Wahl der Bands. Da die jetzigen Häftlinge nicht mehr geschlossen die Texte von den Toten Hosen mitbrüllen können – wie 1988 im selben Veranstaltungssaal –, erklingen jetzt bulgarische, armenische und türkische Lieder. „Etwas gewöhnungsbedürftig“ für die deutsche Frauen, die sich aufs Klo zurückgezogen haben. „Aber wenigstens ist etwas los. Wann haben wir sonst schon die Möglichkeiten, uns zu treffen? Höchstens in der Kirche.“
Nach der Pause ein anderes Extrem: türkischer Hardcore. „Wir sind Hasret aus der Türkei“, kündigt der Sänger an, und erntet lautes Gejohle, als er sein Sweat-Shirt auszieht. „Ich liebe dich“, ruft es aus dem Publikum. Eine rumänische Frau klettert auf die Bühne und vollführt einen Lambada-Tanz mit sehr eindeutigen Bewegungen. Hüftschwingend geht eine Reihe tschechischer Frauen zu den Hardcore-Riffs à la polonaise über den Tanzboden. Nach genau drei Stunden ist alles vorbei. Zurück in den grauen Knastalltag, wo die Mittel für ein kontinuierliches Freizeitangebot fehlen. Zur Zeit sind die Knastinsassen auf die Initiative von Freiwilligen und ehrenamtlichen Mitarbeitern angewiesen. Liesbeth Weeda
Hasret spielen heute abend im Ex, Gneisenaustr. 2a, Kreuzberg. Jerewan feiern am 16. 2. ihr CD-Release in der Alten Kantine.
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