: Shrink to non-fit
Komplett daneben: Die österreichische Band Graf Hadik verknüpft Wahn, Witz und Elektropop. Klingt, als wäre zwischendurch Stevie Wonder per Internet zugeschaltet ■ Von Jochen Bonz
„Uff, uff, uff, wir fahren in den Zoo...“ Was soll man von einer Band halten, die auf ihrem „Harte Post“ betitelten Debütalbum ihre Variante des alten Liedes, in dem sich „Pimmel“ nicht auf „Schimmel“ reimen darf, neben minimalistische Elektropoptracks setzt, die nichts zu wünschen übriglassen an Pointiertheit, die mitten rein zielen in den heute wieder so angesagten Komplex aus Glamour und Psychedelik, großen Erfahrungen und der Erfahrung von Flüchtigkeit? Noch dazu, wenn die Band „Graf Hadik“ heißt, aus Wien kommt und seit über zehn Jahren am Werkeln ist?
Man wundert sich, bis man den bürgerlichen Beruf des Bandleaders erfährt. Er heißt Stefan Wildner, ist 39 Jahre alt und Psychiater. Wildner, neben Christian Pärtan (Synthesizer, Programming) und Andreas Kolm (Gitarre), Texter, Sänger und Konzeptionist von Graf Hadik, gehört zu den Leuten, die ohne großes Zögern finden, dieses oder jenes sei „faschistisch“. Der ehemalige Punkrocker bei „Thuzpe“ (jiddisch für „Wahnsinn“ beziehungsweise „höhere Sinnlosigkeit“, wie Wildner übersetzt) versteht dabei unter „Faschismus“, was Tom Holert und Mark Terkessidis für den Popdiskurs mit Deleuze „Kontrollgesellschaft“ genannt haben: Lustige, sich frei wähnende Menschen bewegen sich im kulturindustriellen Freizeitknast. Nur, daß Wildner dabei weniger Rezeption und Konsum und statt dessen die Musikproduktion im Auge hat.
Der Mann glaubt an vieles, aber nicht an den aktuellen Mythos, das Musikmachen am Computer bringe eine neue und, wie es oft heißt, nur mit Punk zu vergleichende Freiheit mit sich. Statt dessen sieht Wildner heute in der elektronischen Musiklandschaft „Spitzennavigatoren“ am Gange, die sich mit viel Wissen, komplexen und „hochsubtilen Planungen“ zu ihren Werken hinbewegen. Eine Form des Musikmachens, die ein „absolutes Äquivalent“ zu unserer Zivilisation überhaupt darstelle: Nicht offensichtliche Kontrolle ist alles.
Dagegen stinken Graf Hadik an. Vielmehr: Sie „shrinken“ dagegen an, indem sie im Rahmen eines „Shrink Music“ genannten Konzepts an ihrer Vorstellung von Pop arbeiten (von „to shrink“: „einschrumpfen“, oder auch von „Shrinks“: US-Slang für „Psychiater“). Wildner: „Unsere Musikstücke müssen den richtigen Shrink-Wert auf der Shrink-Skala erreichen. Zum Beispiel unser Stück ,Shrinkpiano‘. Das ist irrsinnig verzerrt, nicht im Rhythmus, nicht im Takt – komplett daneben eigentlich. Wahnsinnig daneben. Aber es hat eben irgendwas, das schwer zu benennen ist. Es hat den richtigen Shrink-Wert.“ Graf Hadik suchen und finden Überraschungen, Situationen im Prozeß des Musikmachens, von denen sie im nachhinein den Eindruck haben, „Stevie Wonder hat sich per Internet kurz eingeschaltet“. Momente, „wo man sagt, hey, es ist etwas völlig Unbeabsichtigtes entstanden. Etwas, das mit der Planung nichts zu tun hat, und es birgt in sich eine völlig neue Möglichkeit. Da wird geforscht.“
Anders als bei der Hamburger Band Station 17 geht es Graf Hadik nicht darum, geschrumpften Wahnsinn gemeinsam mit Patienten zustande zu bringen oder gar um regelrechte Musiktherapie. Wildner versteht Graf Hadik als „Paraphrase“ auf seinen Psychiatriealltag. Eine Umschreibung, die allerdings oft weiter geht, als die Polizei erlaubt beziehungsweise die Psychiaterkollegen. „Die schnallen natürlich schon leicht ab“, wenn Wildner anfängt, seine mit der „Shrink-Music“ korrespondierende „Kosmologie“ – eine von Bildern aus Wildners Geschichte sich herleitende Privatmythologie – ins Spital zu tragen. Weshalb es in erster Linie private Patienten und eben die Hadik-Hörer sind, für die Wildner nicht nur Musik, sondern auch Symbole schafft, Tiersymbole. Hunde vor allem.
Auf dem CD-Cover gibt sich Wildner mit ihnen in einer Strandkulisse ab, die ansonsten nur noch mit einem lediglich ausschnitthaft abgebildeten Frauenkörper bevölkert ist. Hunde spielen auch in den Bandnamen mit rein, der sich eigentlich von einem ehemaligen WG-Wohnort herleitet (Hadikgasse), wo Wildner aus einem original Pharaonenhund, gekreuzt mit einem aus Griechenland mitgebrachten Straßenköter, Hunde mit übergroßen Ohren züchtete. In einem Akt der Verleugnung biologischer Bezeichnungskriterien nannte er sie „Flughunde“ und sich und seine Band zeitweise „Graf Hadik und die Flughunde“.
Geflogen wird auch auf „Harte Post“. Zu einem zwei gegeneinanderlaufende und mit unterschiedlichen Sounds ausgestattete Melodienlinien transportierenden TripHop-Rhythmus krächzt Wildner „Ein Raumschiff ist gelandet in unserer kleinen Welt. Es bringt uns sehr viel Liebe, überhaupt kein Geld. Licht kommt aus der Dunkelheit, spielt uns ins Gesicht. Warum es hell und schön ist? Wir wissen es noch nicht. Wir fliegen.“
Fliegen, Freiheit, Unsicherheit, Glücksverheißung – die Hunde stehen für labile Gleichgewichte. Für seine Patienten fertigt Wildner zehn mal zehn Zentimeter große Hundereliefs aus Holz, die symbolisieren sollen, was in der therapeutischen Beziehung erreicht wurde. „Das hat natürlich auch eine humoristische Ebene, die diesen ganzen Psychiatriescheiß auch entstigmatisiert.“
Anders gesagt: Uff, man wird auch froh in diesem Zoo.
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