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Junkies ohne Ersatzdroge

Die umstrittene Einschränkung bei der Vergabe der Ersatzdroge Codein hat für 200 Abhängige in Hamburg gravierende Folgen  ■ Von Lisa Schönemann

Heute tritt eine Regelung in Kraft, die etwa 200 bis 300 Heroinabhängigen in Hamburg das Leben schwer machen wird: Die Ersatzdroge Codein – in der Szene als „Remis“gehandelt – fällt ab jetzt unter das Betäubungsmittelgesetz (BtMG). Bisher konnte der als Hustenlöser bekannte Wirkstoff ohne weiteres vom Hausarzt an der Ecke verordnet werden. Nach der zehnten Betäubungsmittelrechtsänderungsverordnung sind nun für die Verschreibung spezielle BtM-Rezepte erforderlich.

„Es gibt eine Grauzone“, so ein Drogenberater, „in der Junkies seit Jahren ihre Remis beziehen und nie im Drogenhilfesystem in Erscheinung getreten sind“. Für sie ist die neue Verordnung eine Katastrophe. Ohne Codein machen sich nach einem halben Tag heftige Entzugserscheinungen breit. Die Ersatzdroge hat die Abhängigen über Jahre davor bewahrt, ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder ihre Familien zu zerstören. Innerhalb einer sechsmonatigen Übergangsfrist müssen sie sich nun etwas einfallen lassen.

„Zehn Prozent der Süchtigen gehen vielleicht in Langzeittherapie“, schätzt der Leiter der Drogenambulanzen, Georg Chorzelski. Weitere zehn Prozent proben den Ausstieg aus der Sucht, indem sie die Ersatzdroge runterdosieren. „Der Rest wird bei uns auflaufen“, befürchtet Chorzelski. Nach seiner Auffassung können nur diejenigen nach dem sogenannten Hamburger Vertrag ins Methadonprogramm aufgenommen werden, die schwer krank oder schwanger sind, die gerade aus dem Strafvollzug oder einer Klinik entlassen worden sind. „Wir könnten auch HIV-Positive antiretroviral behandeln, bei denen die Krankheit noch nicht ausgebrochen ist, aber so irrwitzig das klingt, das ist nicht unser Auftrag.“

Die drei Drogenambulanzen behandeln in Hamburg rund 800 substituierte Abhängige mit der Ersatzdroge Methadon. Der Heroinersatz kann künftig wöchentlich beim Arzt, Apotheker oder Drogenberater abgeholt werden, Neueinsteiger müssen nach wie vor täglich kontrolliert werden.

„Richtige Probleme wird es in Hamburg nicht geben“, davon ist der Drogenbeauftragte des Senats, Horst Bossong, überzeugt, „eher in Schleswig-Holstein, wo über die Hälfte aller Substituierten Codein nimmt“. Der Wechsel von Codein auf Methadon gestalte sich problemlos, da die Zugangshürden sich nicht wesentlich unterschieden. „Mancher wird sich vielleicht einen anderen Arzt suchen müssen“, so Bossong. Viele Niedergelassene fürchten den aufwendigen und im Regreßfall teuren Umgang mit BtM-Rezepten. Methadon sei außerdem besser verträglich und billiger, was gerade den Selbstzahlern unter den Substituierten auf lange Sicht zugute käme.

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