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Amerikanische Zustände im bayerischen Handel

Ingolstadt genehmigt ein „Factory Outlet Center“: Fabriken verkaufen dort unter Umgehung des Einzelhandels  ■ Von Manuela Knipp-Dengler

Ingolstadt (taz) – Auf einer Fläche von 20.000 Quadratmetern soll am nordöstlichen Rand von Ingolstadt das erste bayerische Fabrikverkaufszentrum nach amerikanischem Vorbild entstehen. Die Idee des „Factory Outlet“ besteht darin, verschiedene Fabrikverkaufsstellen zu einem Einkaufszentrum zusammenzufassen. In abgeschlossenen Ladeneinheiten sollen Hersteller sogenannter „Premiumwaren“, hochpreisige Designer-Auslauf- und Musterkollektionen, mit bis zu 50 Prozent Preisnachlaß verkaufen. Aktuelle Sortimente, Bücher sowie Waren für den täglichen Gebrauch soll es nicht geben.

Verteilt auf zwei Bauabschnitte, will die amerikanische Investorengruppe „Value Retail“ zunächst auf 12.000 Quadratmetern ihr „Factory Outlet Center“ (FOC) im Charakter einer Luxusmeile mit Fußgängerzone und einzelnen Geschäften im regionaltypischen Baustil errichten. Als Zielgruppe nennt Value Retail den markenbewußten „smart shopper“ mit hohem Einkommen.

In Deutschland gibt es diese großflächige Vertriebsform bisher noch nicht. Zwar liegen laut Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung Standortnachfragen allein für sieben FOCs vor, raumordnerisch befürwortet wurde aber erst ein Designer-Outlet bei Zweibrücken.

In Europa hat Value Retail in Bicester bei London ein erstes FOC errichtet, ein zweites entsteht derzeit bei Barcelona. In den USA sind die Outlet-Center schon weiter verbreitet. Dort bestreiten sie ein bis zwei Prozent des Einzelhandelsumsatzes – das entspricht etwa dem bisherigen Direktverkauf der Fabriken in Deutschland.

In Ingolstadt war es vor Weihnachten soweit: Nach wochenlangem politischen Streit und heftigsten Protesten von seiten der Einzelhändler hat der Stadtrat mit 34 zu 14 Stimmen die Ansiedlung des nach wie vor umstrittenen FOC beschlossen. Da sich das Käufer-Einzugsgebiet für das nahe einer Autobahnausfahrt entstehende Fabrikverkaufszentrum auf einen Umkreis von bis zu 200 Kilometern erstrecken soll, hatten sich nahezu sämtliche Nachbarstädte und -gemeinden gegen die Genehmigung des Projekts ausgesprochen.

Unisono wurde der drohende Kaufkraftabfluß sowie der befürchtete Verlust von Arbeitsplätzen beklagt. Nichtsdestotrotz gab es unter den Bedenkenträgern auch einige, die versuchten, das erste Fabrikverkaufszentrum im Freistaat, wenn schon, dann wenigstens in ihrer eigenen Gemarkung anzusiedeln.

Nicht nur der Ingolstädter Einzelhandel protestierte gegen das FOC, auch Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) hat schnell in einem offenen Brief um Aufschub der Entscheidung zu diesem Projekt gebeten. Als Mahner gegen die Amerikanisierung bayerischer Verkaufsstrukturen meldeten sich auch die Gewerkschaften, die Landesverbände von CSU und SPD oder der bayerische Wirtschaftsminister Otto Wiesheu (CSU) zu Wort. Ein Gutachten von der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät Ingolstadts unter Professor Joachim Genosko kommt zu dem Schluß, daß sich der zu erwartende Kaufkraftabfluß für die Ingolstädter Einzelhändler auf gerade mal vier Prozent des bisherigen Umsatzes belaufen werde. Der Einzelhandel habe daher keinen Anlaß, so der Professor, sich vor dem FOC „wie das Kaninchen vor der Schlange“ zu fürchten.

Die bayerische Staatsregierung prüft bereits, welche rechtlichen Möglichkeiten sie hat, künftig die Zulassung weiterer Fabrikverkaufszentren im Freistaat zu erschweren. „Was Besseres kann uns nicht passieren. Wir haben eins, und die anderen kriegen keins“, frohlockt Ingolstadts Wirtschaftsreferent Alfred Lehmann.

Während sich die Ingolstädter über ihren gelungenen Coup freuen und sich die Nachbargemeinden im stillen über die verpaßte Chance ärgern, rechnet Andreas Siegel, Geschäftsführer des Konkurrenzunternehmens Demex Systembau München, vor, daß sich in Bayern maximal drei bis vier solcher Fabrikverkaufszentren rechnen würden.

Als Geschäftsführer der Demex Systembau plant Siegel zur Zeit selbst ein dem FOC ähnliches „Designer Outlet Center“ in den neuen Bundesländern. Es soll zum Frühjahr 1999 in Wustermark im Speckgürtel von Berlin entstehen, verteilt auf fünfzig Läden mit einer Verkaufsfläche von 11.300 Quadratmetern. Vor vier Wochen hat die Gemeinde dem Projekt zugestimmt.

Auch in Wustermark habe es Proteste dagegen gegeben. Zwar nicht so massiv wie derzeit in Ingolstadt, aber die Sorge um eine mögliche Verödung der Innenstadt sei dort ebenfalls Thema gewesen. Da aber ein Fabrikverkaufszentrum immer „ein Magnet“ für die Region sei, werde es eher zu einer Belebung beitragen. Die Entscheidung der Stadt Ingolstadt halte er daher für „absolut richtig“, die „Zeichen der Zeit“ seien erkannt worden.

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