piwik no script img

Wortungetüme und die Lust an der Interpretation

■ Der Politikwissenschaftler Alemann weist seine publikumswirksamen Kollegen die Schranken

Berlin (taz) –Da werden selbst angegraute Politikwissenschaftler scharfzüngig. Parteienforschung im Hollywoodstil wirft Ulrich von Alemann zwei seiner Kollegen vor. Anlaß für die Schelte des angesehenen Vertreters seiner Zunft: Peter Lösche und Franz Walter vom Seminar für Politikwissenschaft der Universität Göttingen schreiben nicht allein Bücher über Parteien. „Mit spitzer, flotter Feder“, wie von Alemann maliziös anmerkt, übersetzen Lösche und Walter ihre Theorien und Erkenntnisse über Parteien immer wieder fürs Zeitungspublikum. Spiegel, taz, Zeit und die Woche drucken ihre Texte oder interviewen die beiden wortgewandten Politikwissenschaftler.

Alemann, der an der Fernuniversität Hagen Politik analysiert, fährt in dem gerade erschienenen Fachorgan Politische Vierteljahresschrift (PVS) schwere Geschütze gegen die eloquenten Kollegen auf: Ihre populären Äußerungen gäben nicht den Stand der Forschung wieder. Obendrein seien sie höchst widersprüchlich. Lösche hätte im Spiegel Großparteien einerseits als „extrem fragmentierte Gebilde“ bezeichnet, die eine politische Willensbildung schwierig machten. In Parteien herrsche, so Lösches Begriff, eine „lose verkoppelte Anarchie“. Im gleichen Interview würde der Politologe andererseits von „Neo-Bonapartismus“ sprechen – von einer Willensbildung innerhalb der Parteien, in der sich der Vorsitzende via Medien direkt an Mitglieder oder Wähler wendet.

Schröder, Fischer, Westerwelle und Kohl könne man als Abbilder des kleinen genialen Franzosen bezeichnen, konkretisierte Lösche. Alemann kommentiert seinen Kollegen bissig: „Und so sind sie also laut Lösche – natürlich nur irgendwie und nie in Reinkultur – alle kleine Bonapartes, unsere aparten Bonner Politiker.“

„Bonapartismus und Anarchie kann nicht gutgehen“, setzt von Alemann die eingängigen Begriffe Lösches zueinander in Gegensatz. „Das eine ist so undifferenziert wie das andere.“ Alemann fordert, die Parteienforschung solle lieber bei ihren komplexem Analysen bleiben, statt sich mit Schlagwörtern in die Politik einzumischen.

Eitelkeiten und Streitigkeiten zwischen fachorientierten Vertretern der Zunft und medienpräsenten Zampanos sind nicht selten. Der in den Zeitungen immer mal wieder als „Parteienkritiker“ gefeierte Hans-Herbert von Arnim gilt in seiner Heimathochschule, der Universität für Verwaltungswissenschaften in Speyer, eher als unwissenschaftlicher Klabautermann der Medien. Freilich, solcherlei Ehrabschneiderei wird üblicherweise unter der Hand getätigt. Lösche und Walter aber keilen diesmal in aller Öffentlichkeit zurück – in der gleichen Ausgabe der Politischen Vierteljahresschrift. Alemann kommt dabei nicht gut weg.

„Ein Großteil der bundesdeutschen Politologen“, schreibt Walter, „ist völlig unfähig, Forschungsergebnisse zu vermitteln, an den großen öffentlichen Debatten vernehmbar und gewinnbringend teilzunehmen.“ Für den Göttinger Politikwissenschaftler kein Wunder. Denn die meisten Politologen schrieben „spießig, dröge und steril“. Als Beispiel dient ihm der kritische Kollege Alemann selbst.

Der nämlich hatte Lösche nicht nur für die höchst widersprüchliche Erkenntnis lose anarchischer Neo-Bonapartismen in den Parteien gegeißelt. „In Antithese“ zu Lösche vertritt Alemann die Meinung, „daß Großparteien als politische Großorganisationen komplexe mikropolitisch aufgeladene Stratarchien oder Polyarchien sind.“ Alles klar?

Nix verstehen, resümiert Franz Walter genußvoll: Solche „Wortungetüme“ würde er niemals verwenden. Denn dem Leser seien diese „exaltierten politikwissenschaftlichen Kunstbegriffe“ nicht zumutbar – zumal sie nicht einmal in Wörterbüchern zu finden seien. „Die politischen Kontroversen der Republik“, resümiert Walter fast ein wenig verbittert, „finden ohne die Politologie statt.“ Christian Füller

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen