Ein bißchen Bürgerkrieg ist gar nicht so schlimm

■ Flüchtlinge aus Algerien dürfen weiter abgeschoben werden. Die Innenminister von Bund und Ländern einigen sich lediglich auf die Prüfung von Einzelfällen

Berlin (taz) – Entgegen der dringlichen Bitte des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge hat die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern (IMK) einen generellen Abschiebestopp für algerische Flüchtlinge abgelehnt. Eine entsprechende Initiative des rot-grün regierten Schleswig-Holsteins scheiterte gestern auf dem Treffen der IMK am Widerstand von Bundesinnenminister Kanther (CDU) und der CDU-regierten Länder.

Die SPD-geführten Länder hatten seit dem 16. Januar einseitig auf Abschiebungen verzichtet und gehofft, auf der IMK einen bundeseinheitlichen Stopp zu erreichen. Ausschlaggebend für ihr Scheitern war der jüngste Lagebericht des Auswärtigen Amtes zu Algerien, dem zufolge ein genereller Abschiebestopp nicht angebracht ist. Statt dessen erklärte die IMK, eine „sorgfältige Einzelfallprüfung ist dringend erforderlich“. Damit folgte sie einer Empfehlung von Außenminister Klaus Kinkel (FDP).

Die Prüfung soll in Zukunft nicht mehr allein bei den Ausländerbehörden liegen, sondern zentral in den jeweiligen Innenministerien durchgeführt werden. Damit wird die Frage der Abschiebung von einer reinen Verwaltungsangelegenheit zu einer politischen Entscheidung. Für algerische Flüchtlinge in Ländern mit einer vergleichsweise liberalen Ausländerpolitik, wie etwa Hessen, Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt, dürfte die Regelung relative Sicherheit vor der Abschiebung bedeuten. Umgekehrt droht Algeriern etwa in Bayern und Baden-Württemberg eine restriktivere Anwendung der Einzelfallprüfung. Trotzdem bewerteten SPD-Vertreter in der IMK den Kompromiß positiv. „Das war das Beste, was rauszuholen war“, sagte Hessens Innenminister Gerhard Bökel (SPD) zur taz. Die jetzige Regelung werde auch von den CDU-geführten Ländern sowie dem Bundesinnenminister mitgetragen. „Da hat Kanther einen großen Sprung gemacht“, so Bökel. Nur das Kabinett in Schleswig-Holstein will heute über einen Alleingang in Form eines einmaligen Abschiebestopps von maximal sechs Monaten beraten.

Rund 6.500 Algeriern droht jetzt die Abschiebung, so eine Statistik des Bundesinnenministeriums. Gegen sie lagen Ende 1997 Ausweisungsverfügungen vor. Bei den meisten Personen dürfte es sich um abgelehnte Asylbewerber handeln. Die Anerkennungsquote für Algerier ist mit etwa 1,5 Prozent ausgesprochen gering, da Gerichte die Massaker in Algerien nicht als staatliche Verfolgung werten. Diese Interpretation wird durch Enthüllungen von einem der hochrangigsten Deserteure des algerischen Militärregimes in Frage gestellt. Labri Zitout, ein früherer Vizebotschafter Algeriens, beschuldigt gegenüber der taz den militärischen Geheimdienst des Landes, dieser habe die Bewaffneten Islamischen Gruppen GIA unterwandert. Sie wird für den Großteil der Massaker verantwortlich gemacht, bei denen seit 1992 rund 80.000 Menschen starben. Patrik Schwarz Siehe auch Tagesthema Seite 3