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Gesetze pauken, Groschen zählen

Frühstück bei einer Arbeitsloseninitiative: Einer, der selbst schon Monate erwerbslos ist, hält die deutschen Joblosen für feige, ein anderer will heute im Arbeitsamt Schreibtische umwerfen  ■ Von Judith Weber

Den Arbeitslosen geht es zu gut. Darauf haben sich zumindest die sieben Erwerbslosen am Frühstückstisch geeinigt. „Fünfzig Prozent des Geldes müßten sie uns noch kürzen!“poltert ein Mann und zerkaut sein Mortadella-Brötchen. „Am besten noch mehr“, übertrumpft ihn ein anderer. Ein schiefes Lachen, ein halber Witz. Wie soll man leben mit der Hälfte der Arbeitslosenhilfe?

Man kann nicht, und das eben ist der Trick: „Wenn die Leute wirklich nicht mehr weiter wissen, werden sie protestieren und im Arbeitsamt endlich ein paar Schreibtische umkippen“, hofft ein ehemaliger Bankangestellter. Die sechs Menschen am Tisch nicken. Ein erwerbsloser Einzelhändler ist dabei, eine joblose Speditionskauffrau. „Kollegen“nennt der Bänker sie – nach Jahren ohne Stelle wird die Arbeitslosigkeit zur Berufsbezeichnung.

Aufgeregt ist niemand, einen Tag vor der heutigen Demonstration. Wie jede Woche hat die Arbeitslosenhilfe Hamburg (AHA) auf St. Georg zum Frühstück geladen; wie jede Woche sind die Frau und ein paar Männer erschienen. „Holt mehr Stühle, vielleicht kommt noch jemand“, schlägt ein Mann vor. „Da kommt keiner mehr“, wiegelt ein anderer ab. „Wenn es kalt ist, ist plötzlich keiner mehr arbeitslos.“Seine Augenbrauen berühren den Pony, so kraus zieht er die Stirn. Dann ein Lächeln, eine Hand zupft an der geblümten Plastiktischdecke. Will noch jemand Kaffee?

Sozialberater Bernd Heisig hat seine Tasse weggeschoben. „Viele Erwerbslose sind total desinteressiert“, bedauert er. „Sie fügen sich in ihre Situation – vielleicht sind die Leute einfach noch nicht genügend gequält worden.“Über die abgefrühstückten Teller liest Heisig aus dem neuen Arbeitsförderungsgesetz vor, sagt voraus, daß Arbeitswillige sich künftig in Zeitungsannoncen selbst anpreisen müssen und erzählt hoffnungsvoll, daß sich in den vergangenen Tagen viele Menschen nach der Demo erkundigt haben.

„Trotzdem: Wir Deutschen sind einfach zu feige!“schimpft ein 59jähriger. „Erst wenn heute hundert Arbeitslose das Arbeitsamt besetzen, wird sich vielleicht etwas ändern.“Daß sich mehr als ein klägliches Häufchen DeomstrantInnen vor der Behörde einfindet, bezweifelt er jedoch genauso wie seine Kollegen. Früher, erzählt der 59jährige weiter, da habe er die CDU gemocht, auch die SPD. Jetzt wählt er die DVU. Seine Frau kommt von den Philippinen, und bald geht er direkt aus der Arbeitslosigkeit in Rente. Neben die Kaffeetassen legt er einen Notizblock. Den hat er beinahe immer dabei, wie andere Leute ihre Scheckkarte. Pingelig zusammengezählt steht darin, wieviel Geld das Arbeitsamt ihm gibt: 369 Mark 74 die Woche. 61 Mark 62 macht das täglich, gerechnet auf sechs Arbeitstage, die schon seit vier Jahren keine mehr sind.

Zahlen sind wichtig, wenn man Groschen zählen muß. Am Kopf des Tisches rechnet die gelernte Speditionskauffrau vor, wie viele Tage sie im vergangenen Jahr gearbeitet hat. „Genau sechs Monate und drei Wochen. In den vergangenen drei Jahren insgesamt neun Monate.“Als Botin war sie angestellt, und als Telefonistin. KollegInnen, die ihren Eifer bewundert haben, habe sie geantwortet: „Wenn man so lange arbeitslos war, ist ein Job so schön wie Urlaub.“

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