: Kondome an Kuscheltieren
Mädchen stehen auf Boygroups. Warum? Jan Weyrauchs Buch über das Teenie-FANomen der 90er Jahre beschreibt die Affäre, lüftet aber keine Geheimnisse. Wann ist der Mann ein Boy? ■ Von Anke Westphal
Am Anfang waren die Worte. TAKE THAT. Sagt nicht schon der Name, was von den Jungs dieser bisher berühmtesten Boygroup zu erwarten war? Gary Barlow, Robbie Williams und Co. nahmen entgegen, ohne selbst allzuviel zu geben: Plüschteddys, Stoffelefanten, Liebesbriefe, Kondome, rosa Herzen, von Putztrupps achtlos an den Bühnenrand gefegt: Die Bühne wurde zum Friedhof der Kuscheltiere. Mädchen zwischen 10 und 15 wollten das Omen des Nomens nicht verstehen beziehungsweise konnten es nicht, taub vom eigenen Gekreische. Einige drohten mit Selbstmord, als sich Take That 1996 auflösten. Trösten ließen sich die Mädchen von den Epigonen der Epigonen: von den Backstreet Boys, N' Sync oder Bed & Breakfast. Jan Weyrauch, Moderator beim Berliner Radio Fritz!, hat seine Magisterarbeit über das Boygroup-Phänomen geschrieben und, populär aufbereitet, als Buch veröffentlicht.
Wozu ist das Buch gut? Es beschreibt die Affäre zwischen Boygroup und Mädchen. Versucht, hinter ihr Geheimnis zu kommen. Und taugt dabei vor allem als Ehrenrettung der Mädchen. Das ist nicht wenig, auch wenn das mit dem Lüften des Geheimnisses nicht recht gelingt.
Anerkennung fürs Kosmetikregime
Für Jan Weyrauch wird eine männliche Popgruppe in erster Linie durch künstliche Herstellbarkeit, Aussehen, Alter (max. 25 Jahre) und die Austauschbarkeit der Mitglieder zur Boygroup. In dieses Raster zwängt Weyrauch großherzig die Bay City Rollers und Monkees, erstaunlicherweise auch die Stones und Beatles. Mick Jagger und Austauschbarkeit? Die extreme Lockerheit im Umgang mit der eigenen Definition bleibt nicht Weyrauchs einzige Überraschung. So betrachtet, dürften selbst Aerosmith als Boygroup durchgehen – was Steven Tyler zumindest als Anerkennung für sein straffes Kosmetikregime empfände.
Eher gilt: Eine männliche Band wird erst durch Rollenspiel zur Boygroup. Jedes Bandmitglied verkörpert in diesem Spiel einen bestimmten Charakter. Zu besetzen sind der Draufgänger, der Schöne, der Süße, der Schüchterne etc. Die allererste Boygroup war, zu Zeiten der glitzernden Disco- Kugel, Village People, wobei es sich zudem in gewisser Weise um den Prototyp der Benetton-Familie handelte. Auf der Bühne standen ein Bauarbeiter, ein Schwarzer, ein Polizist, sogar ein sensationeller Indianer, der alle anderen ausstach, weswegen ich mich an die übrigen drei oder vier auch nicht mehr erinnere. Interessanterweise waren Village People schwul, was erst relevant wurde, nachdem die Band, musikalisch gesehen, ihr Verfallsdatum überschritten hatte. Schwules Attachment und Rollenspiel ließen sich in der Retro-Ära stimmig als Quelle zur Reanimation der Village People nutzen. Die schwule Komponente fand sich in der Prä-Star-Phase auch bei Take That, die ihre Karriere mit Tingelei durch englische Schwulenbars begannen. Die Village People waren für ihre Zeit so vorbildlich oberflächenhaft (nicht oberflächlich), daß ihr Modell heute avantgardistisch wirkt. Der Job von Boygroups besteht dieser Tage nicht darin, es auf diesem Level fortzuschreiben. Die Formatierung von Boygroups erfolgt heute sehr viel standardisierter, was am Markt liegen mag, der ja einer generell neokonservativen Entwicklung nur folgt.
Eine zeichenhafte Oberflächenhaftigkeit
Man sehe sich Backstreet Boys oder N' Sync an: Die Jungen sind so ähnlich angezogen und ihr gutes Aussehen ist so streng normativ, daß die zaghaft unterschiedlichen Charakterschablonen durch das Outfit und in der Choreographie der Tanzszenen wieder angeglichen werden. Diese so zeichenhaft wie nivellierende Oberflächenhaftigkeit bedient das pubertäre Grundproblem allerdings perfekt – die Unsicherheit hinsichtlich der Wahrnehmung des sich verändernden eigenen Körpers und Ichs. Ein Fakt, den Weyrauch ärgerlicherweise nur flüchtig streift. Daß Jungs sich mit dem Star identifizieren und selbst gern der Star sein würden, während Mädchen eine imaginäre Beziehung zum Star aufbauen, darauf beschränken sich seine Erklärungsversuche. Die grundlegende Frage, warum zwölfjährige Mädchen sich nun ausgerechnet an Boygroups aus- und aufrichten und nicht am, sagen wir, ebenfalls vergleichsweise soften Jon Bon Jovi, trifft Weyrauch nicht.
Pubertierende Mädchen suchen eine ideale Oberfläche als Projektionsfläche ihrer Unsicherheit; daran haben hundert Jahre Frauenbewegung nichts geändert. Daß die – fast ausnahmslos weiblichen – Boygroup-Fans wenig ältere und perfekt zurechtgemachte Jungen wählen, leitet zeitweise den eigentlichen Konflikt um, den pubertierende Mädchen zu lösen haben: Sie müssen eine Frau werden (wogegen sich etliche unter anderem mit Anorexie wehren) und außerdem entscheiden, was für eine Frau sie werden könnten. Boygroup-Jungs wirken da entlastend.
Eine Gestik der unerfüllten Bedürfnisse
Schließlich sind das keine role models: Mädchen können, wollen und müssen einerseits nie aussehen wie diese perfekten Jungs. Andererseits bereitet die Fan/Boygroup- Star-Beziehung mit ihrer Musik und Gestik der „unerfüllten Bedürfnisse“ den tatsächlichen Grenzübertritt im Abenteuer Adoleszenz vor. Distanz (zum Star) endet gern im Abstrakten. So läßt es sich befreit „Fick mich, Robbie!“ schreien.
Bezeichnenderweise kleben die Kondome, die die Mädchen auf die Bühne werfen, an Kuscheltieren. Hier dreckiger Erwachsenensex, da romantisierende Vorstellung: Nicht ohne Bedeutung nimmt die Symbolisierung der Vorstellung schon vom Volumen her mehr Raum ein. Weyrauchs „Boygroups. Das Teenie-FANomen der 90er“ ist eine Fleißarbeit ohne Tiefgang – entweder aus Angst, die Leser zu überfordern, oder dem allzu entspannten Wesen des Autors geschuldet.
Auch bei den Beatles fielen die Mädchen um
Wenn man sich schon die Arbeit macht, sollte man auch unterscheiden – beispielsweise zwischen den Objektbesetzungen, die bei (nicht nur werdenden) Frauen ablaufen, wenn Männer auf der Bühne hopsen, und den Bandmechanismen. Jan Weyrauch wählt die Light- Version, läßt damit viele Fragen offen: Die Beatles waren keine Boygroup, und doch fielen die Mädchen in ihren Konzerten reihenweise um. Zum Schluß geht es vollends durcheinander: 37jährige Frauen wünschen sich zu Weihnachten die neue CD von den Backstreet Boys! Vor 25 Jahren ging es um Led Zeppelin, aber das heißt nun nicht, daß Plant & Page heute nicht mehr angesagt wären. Die Gründe für Backstreet Boys & Co.? Laut Weyrauch „leicht zu merkende Melodei-di-dei und ein Refrain, der so oft wiederholt wird, daß er auch von unsereins leicht zu merken ist – energetisierend beim Autofahren und Staubsaugen“. Und wie bezeichnet man diese postpubertären Boygroup-Fans nun? Sie sind nicht eben selten. Lady-Fans? Worte, nichts als Worte.
Jan Weyrauch: „Boygroups. Das Teenie-FANomen der 90er“. Verlag extent, 191 S., 26,80 DM
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