■ Skispringer Dieter Thoma war der Neffe, der „Boris der Lüfte“, der kleine Weißflog. Jetzt will er Sven Hannawald zeigen, wer die Hausschuhe anhat Von Nina Klöckner
: Eigen und ehrgeizig

Ein beeindruckender Sportler. Und einer, der sich Respekt hart erarbeiten mußte.

Der Typ kommt immer wieder. Er fliegt in unser Wohnzimmer, am ersten Tag im Jahr. Leicht und locker, einfach so. Und ein bißchen haßt man Dieter Thoma dafür, weil es einem meistens ziemlich schlecht geht an diesem Tag, und er durch die Luft segelt, als wäre nichts gewesen. Keine Neujahrsdepression, kein Kater. Nichts. Und dieses Jahr trug er auf seinem Sturzhelm auch noch Werbung für eine Kopfschmerztablette. Frechheit.

Aber trotzdem ist man beeindruckt von diesem Typen, der inzwischen 28 Jahre alt ist und immer noch von riesigen Skischanzen hüpft, obwohl alle Welt weiß, daß sein linkes Knie schon sechsmal operiert wurde, aber trotzdem noch schmerzt.

Skispringer sind eben faszinierend. Auf der Schanze und in der Luft. Einer, der den Mut hat, sich von dort oben hinabzustürzen, muß etwas Besonderes sein. Oder? „Wir machen halt einen Job, den nicht viele beherrschen“, sagt Dieter Thoma. „Ein bißchen verrückt muß man dafür schon sein.“ Mehr nicht. Und wenn sie gelandet sind und aus ihren wattierten Anzügen schlüpfen, sind die Skispringer eigentlich alle ganz normal.

Viele sind so jung, daß die Spuren der Pubertät noch in ihren Milchgesichtern sprießen. Außer Skispringen haben sie noch nicht viel erlebt. Der bekennende Kokainsünder Andreas Goldberger paßt da eigentlich nicht rein. Das haben ihn seine Kollegen denn auch spüren lassen.

In dieser Szene galt Dieter Thoma lange Zeit als Ausnahme. Weil er sich nichts gefallen ließ. Nach mißlungenen Sprüngen schnauzte er die Journalisten an, als hätten die den plötzlich auftretenden Seitenwind bestellt. „Ich hatte riesige Schwierigkeiten mit der Presse“, sagt er. Nicht weil er ein so unmöglicher Kerl ist. Er ist einfach nur wahnsinnig ehrgeizig. Das ist alles.

„Wenn du unten an der Schanze stehst, willst du am liebsten sofort hoch und so weit springen, wie noch keiner vor dir“, sagt er. Seine Frau beschreibt das so: „Wenn man ihm Kiesel in den Mund steckt, kommt hinten Sand raus.“

Das hat ihm immer viele Sympathien eingebracht, aber auch so manchen Einbruch, glaubt Bundestrainer Reinhard Heß. „Der Dieter steht sich selbst im Weg“, hieß es, oder „der Dieter denkt zuviel“. Aber seine Psyche war nie Thomas einziges Problem. Da waren auch immer die anderen. Dieter Thoma durfte nie einfach nur Dieter Thoma sein.

Erst war er der Neffe von Olympiasieger Georg Thoma. Als er schon Weltmeister war, wurde er der „Boris der Lüfte“, wegen seiner roten Haare. Und weil seine Frau „genauso wie die von Becker eine dunkle Hautfarbe hat“, wurde sie seine „Schnee-Babs“. Bei den Olympischen Spielen in Lillehammer gewann Thoma mit der Mannschaft Gold und alleine Bronze. Trotzdem war Jens Weißflog der Held, weil er Olympiasieger auch ohne das Team wurde – und Thoma war wieder nur der kleine Weißflog. So was nervt. „Ich selber habe immer versucht, Individualist zu sein“, sagt er, „aber in der Öffentlichkeit wird das wohl schwer angenommen.“

Jetzt, wo die anderen alle weg sind, wäre endlich Platz dafür. Aber jetzt hat Thoma keine Lust mehr. „Ich muß niemanden ersetzen“, sagt er, „ich bin schließlich schon lange genug dabei.“ Er ist das älteste und prominenteste Mitglied einer jungen, talentierten Mannschaft. Er ist ein Vorbild, weshalb den 16jährigen Michael Wagner bei der Vierschanzentournee ein seltsames Gefühl beschlich, „vor dem Dieter zu stehen, besser als ein solcher Weltklassemann abzuschneiden“.

Thoma kann inzwischen ganz gut damit leben. Sein Zimmergenosse Sven Hannawald, fünf Jahre jünger als er, ist nicht nur sein Konkurrent, sondern auch ein guter Freund und sein Lieblingsbabysitter. Daß die jungen Hüpfer immer öfter vor ihm landen, ordnet Thoma in größere Zusammenhänge ein: „Lieber ein Teamgefährte vor mir“, sagt er, „als ein Japaner.“

Dieter Thoma ist erwachsen geworden, glauben die einen. „Wer entwickelt sich in zehn Jahren nicht“, fragt er selbst. „Ich zum Beispiel – vom Rotzbuben zum Familienvater.“ Vielleicht traut er sich aber auch nur das zu sein, was er schon immer war: ein junger Mann aus Hinterzarten.

Während Andreas Goldberger Erfahrungen mit Drogen sammelt, eine Biographie schreibt, CDs besingt und damit Millionen macht, sitzt Dieter Thoma mit Frau und Kind auf dem heimischen Sofa. Wenn Freund Sven vorbeikommt, stehen seine persönlichen Hausschuhe bereit. Unauffälliger geht es fast nicht mehr.

Thoma steht zu seiner Herkunft. Sein Vater Franz, das erzählt er gern, stammt aus einfachen Verhältnissen. Früher trieb er barfuß die Kühe auf die Weide, für sieben Mark im Monat plus Nahrungsmittel. Inzwischen besitzt er einen Lift mit Flutlichtanlage und Skihütte. Sein Vater sei „ein Macher“, sagt Dieter Thoma, deswegen hat er ihm auch seine Vermarktung überlassen. Geschadet hat es nicht.

Als Dieter Thoma 1990 die Vierschanzentournee gewann, bekam er dafür „einen Pokal, einen Geschenkkorb und einen warmen Händedruck“. Heute gibt's Preisgelder. Aber die gehören nicht zu den einzigen Einnahmen der Thomas. Kürzlich suchte Vater Thoma nach einem neuen Sponsor. „Er hat einfach in der Firma durchgefragt“, erzählt der Sohn, „die waren gleich Feuer und Flamme.“

Deswegen trägt er jetzt den Schriftzug „Thomapyrin“ bis zu seinem Karriereende auf dem Helm. Außerdem wirbt er für einen Mineralwasserabfüller und für seine Helm-, Brillen-, und Handschuhfirma. Vom Skifabrikanten gibt es auch noch was, wenn auch wenig, weil sich Sprungski naturgemäß nur selten verkaufen lassen. Unter den Skispringern ist Dieter Thoma auf jeden Fall einer der Großverdiener, auch ohne Biographie und CD.

Damit das so bleibt, wird er wohl weiterspringen. Sportlich läuft es ja noch ganz gut. Ein paar Weltcupspringen hat er diesen Winter gewonnen. In Nagano zählt er zu den Medaillenkandidaten, trotz der japanischen Rivalen. Egal. „Ein Olympiasieg ist nicht mehr so wichtig“, sagt Thoma. Und fügt an: „Aber ich will in Nagano natürlich im Rampenlicht stehen.“