piwik no script img

Afrikanisierung des Zuschauers

■ Storyloses Breitwand-Roadmovie des documenta-Teilnehmers Oladélé Bamgboyé in der Städtischen Galerie im Buntentor

Neulich auf der documenta, Rückgrad geschrumpelt vom kulturellen Überfraß, aber nur noch fünf Meter von der Treppe zum rettenden Cafe entfernt, Kaffee!, da verstellen drei Säulen den Weg mit Videogeflinsel: staubige Straße, Palmen, Kamera flutscht rechts an farbigen Menschen vorbei, staubige Straße, Markt, Kamera flutscht links an farbigen Menschen vorbei. ES denkt im nebeligen Besucherhirn: Aha, Pause, wieder ein afrikanischer Künstler, cultural-studies-Mentalität der Amis schwappt zu uns rüber, schön, PC, schön, Klassengegensätze Ausrufezeichen, schön, Pause, Einblicke in eine fremde Soziokultur, aber nicht jetzt, jetzt der gute Milchcafé, aber das Essen ist da so teuer, vielleicht doch in die Würstchenbude gehen, Afrika mal am TV anschauen, Auslandsjournal oder so.

Wie immer denkt ES falsch. Oladélé Bamgboyé will uns keineswegs sowas wie afrikanische Wirklichkeit vorführen. Er versteht sich auch nicht als afrikanischer Künstler. Kein Wunder. Schließlich schleppten ihn die Eltern mit 12 Jahren nach Schottland. Der Vater hatte nämlich an der Glasgower Uni eine Professur für Wirtschaftsrecht ergattert. Nigeria ist für Oladélé Bamgboyé seitdem eher Gastland, weniger Identitätsspender. Braucht Bamgboyé auch nicht. Er fremdelt nicht. Deshalb war es für ihn auch eine ausgesprochen schräglustige Erfahrung, während eines einjährigen Stipendiums in Berlin auf Westdeutsche zu stoßen, die sich in Ossiland „unbeheimatet“fühlten.

Früher einmal, da wollte Oladélé Bamgboyé noch eine „Scottish-Yoruba aesthetic“entwickeln, jetzt interessiert er sich in seinem Videotriptychon „Movements“für jene Wahrnehmungsstrukturen des Menschen, die in Afrika genauso funktionieren wie am Nordpol oder am Meeresboden. „Wenn ich mit einem Taxi durch eine fremde Stadt fahre, springen einzelne Dinge meine Wahrnehmung an und schlagen bestimmte Erinnerungen frei, egal wo ich bin.“Einen solchen Austausch von Input und Gedächtnissubstanz wollen die Movements durch einen meditativen, höhepunktslosen, sensationslosen, storylosen, kontrastlosen Bilderfluß hervorkitzeln, der sich gegen soziologische Reflexionen und statische Einordnungen erfolgreich sträubt. Dieses Movement ist nicht politisch.

Auf drei Videoleinwänden sehen wir, wie ein Auto oder ein Motorroller an Läden, Menschen, Marktständen, Menschen, Wiesen, Menschen, Bäumen, Menschen und Sehenswürdigkeiten vorbeifährt. Die Kamera hakt sich nirgends fest. 99 dieser potentiellen Eyecatcher sind in Afrika beheimatet, einer in Kassel. Der pompöse Herkules der Kasseler Wilhelmshöhe mischt sich erstaunlich dezent und bruchlos in die tropische Umgebung. Doch Achtung, es geht nicht um Multikulti oder die-Welt-ist-ja-so bunt. „Das wäre langweilig. Das wäre Benetton.“Kassel erfüllt hier hauptsächlich die Funktion eines Impfstoffes gegen das verhaßte Etikett „afrikanischer Künstler“.

Wie bei der amerikanischen Farbfeldmalerei zwingen die gigantomanischen Formate hier (im Unterschied zu den Kasseler Mini-Monitoren) zum Eintauchen. Weg mit der Distanz. Eine Haltung souveränen Überblicks wird außerdem noch verhindert durch Doppelprojektionen und unterschiedliche Fahr-Geschwindigkeiten auf den drei Leinwänden. Der Rezipient hängt ähnlich zwischen den drei Bildern, wie in einer dreistimmigen Bachschen Fuge zwischen den Stimmen. Die Welt ist polyphon. Dahinter ein relaxtes, verfremdetes O-Ton-Fetzen-Gemisch. Ein Kleid ist dann nicht mehr der Beleg für irgendeine ethnologische Erkenntnis, sondern ein Kleid. Afrika wird zum Alltag, der Zuschauer zum Afrikaner. Movements ist wie in einem Straßencafe sitzen und das undurchsichtige Leben vorbeiziehenlassen. Kontemplativ und angenehm. Barbara Kern

Wer sich live erzählen lassen will von London, Berlin oder Catherine David, der sollte sich am heutigen Samstag um 19 Uhr bei der Vernissage einstellen. Bamgboyé ist auch da. Er redet gerne und fremdelt nicht, wie gesagt. Scottish-yorubian-kasseler Afrika moves bis zum 22. Februar in der Städtischen Galerie am Buntentorsteinweg 112

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen