piwik no script img

„Besser Bier als Coca-Cola“

Nach dem mühsamen 3:1 gegen Japan handelt sich der angeblich niemals zweifelnde deutsche Eishockeytrainer Kingston Ärger mit einem olympischen Sponsor ein  ■ Aus Nagano Matti Lieske

Einmal, im letzten Drittel, kam ein wenig Bewegung ins Gesicht von George Kingston, dessen Züge sonst so ehern festgemeißelt sind wie die der Präsidenten an der Wand von Mount Rushmore. Ein leichtes Zucken im Mundwinkel, ein feines Kräuseln der Schnurrbartspitzen, und schon war wieder Ruhe im Antlitz des Eishockey- Bundestrainers. Gerade hatten Japans Stürmer im ersten olympischen Vorrundenspiel der Deutschen mit einem krachenden Schuß den Pfosten des Tores von Josef Heiß erzittern lassen, nachdem sie kurz zuvor den Ausgleich zum 1:1 erzielt hatten.

Nie habe er am Sieg seines Teams gezweifelt, sagte Kingston kategorisch, als das Match schließlich mit 3:1 gewonnen war, „ich habe meinen Spielern schon vorher gesagt, daß wir unser Spiel erst nach 60 Minuten beurteilen.“ Ein Rückstand gegen die agilen und aufopfernd kämpfenden Japaner kurz vor Schluß hätte aber wohl auch ihn ins Grübeln gebracht.

„Von unserem ersten Spiel hängt alles ab“, hatte der Coach vor dem Turnier erklärt. Eine nicht ganz korrekte Aussage. Da nur der Erste der Gruppe mit Japan, Frankreich und Weißrußland in die Finalrunde einzieht, hängt von jedem Spiel alles ab. Richtig ist, daß bei einer Niederlage oder auch nur einem Punktverlust gegen die Gastgeber die baldige Heimreise so gut wie sicher gewesen wäre. Entsprechend aufgeräumt war Kingstons Laune, als nach Hecht auch Kunce und Benda vor einem unentwegt kreischenden Publikum nach der Schrecksekunde des Pfostenschusses doch noch getroffen und damit den ersehnten Sieg herausgeschossen hatten.

Zwei große Verdienste durfte sich der Bundestrainer ans Revers heften. Zum einen, die, mit Verlaub, Eishockey-Zwerge aus Japan nicht unterschätzt, zum anderen, seine Leute perfekt auf das Spiel des Gegners eingestellt zu haben. „Ich habe sie seit sieben Monaten beobachtet“, verriet der ehemalige Professor aus Kanada stolz.

Um sich vor eigenem Publikum nicht als Deppencombo und Punktelieferant präsentieren zu müssen, hatte der japanische Verband ein umfassendes Aufbauprogramm entwickelt. Unter der Leitung des Schweden Björn Kinding und des Kanadiers Dave King hatte sich das durch einige japanstämmige Kanadier beachtlich verstärkte Team sieben Monate lang vorbereitet und ein für jeden Kontrahenten unangenehmes System entwickelt, welches Didi Hegen mit der Kurzformel „Die sind gekommen wie die Wilden“ charakterisierte.

Sobald die Japaner in Puckbesitz sind, rasen sie los wie ein auf Konter spezialisiertes Basketballteam. „Großes Teamtempo“, nennt es Kingston, und Kollege Kinding freute sich: „Ja, wir können das Eis schnell verschwinden lassen.“ Der Bundestrainer hatte seinen Leuten eingetrichtert, nicht zu weit aufzurücken, sich schnell nach hinten zu orientieren und vor allem, Geduld zu bewahren. Diese Geduld, die gute Abwehr und Keeper Heiß gaben den Ausschlag gegen die am Schluß müde wirkenden Japaner, die dennoch zufrieden waren. „Wir haben das Spiel verloren“, sagte Björn Kinding, „aber ich hoffe, das japanische Eishockey hat ein Spiel gewonnen.“

Natürlich stimmte Kingston auch sein gewohntes Klagelied über die Nationalspieler, die in der DEL nicht zum Einsatz kommen, und die ungenügende Vorbereitungszeit an. Kingston hat daher gehörigen Respekt vor dem heutigen Gegner Weißrußland, der Frankreich mit 4:0 besiegte und dabei für den DEB-Trainer „klassisches russisches Eishockey“ spielte: technisch versiert, mit viel Bewegung und guten Kombinationen. Seine drei NHL-Spieler Uwe Krupp, Marco Sturm und Olaf Kölzig kann er in diesem Match noch nicht aufbieten, denn diese kommen erst im Laufe des Tages an. Sollte der erhoffte Erfolg gegen die Weißrussen gelingen, könnten sie immerhin morgen gegen Frankreich ihr Scherflein dazu beitragen, die Finalrunde zu erreichen, und das Privileg, sich von den großen Teams mit ihren NHL-Spielern gehörig was überbraten zu lassen.

Scheitert die Mannschaft doch vorzeitig, hat es laut Kingston nicht an kolportierten feuchtfröhlichen Eskapaden einiger Akteure gelegen. „Solche Gerüchte gibt es bei jedem Turnier. Wir haben kein Problem entdeckt.“ Außerdem seien die Spieler alt genug, um zu wissen, was gut für sie ist, stellte Kingston klar, bevor er sich möglicherweise Ärger mit dem olympischen Hauptsponsor einhandelte: „Wenn jemand ein Bier möchte, soll er ein Bier trinken. Das ist wahrscheinlich besser, als Coca- Cola oder irgendein anderes Zeug in sich hineinzuschütten.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen