: Falsche Geschichte echter Fotos
■ Das Auktionshaus Sotheby's machte zur Herkunft einer legendären Fotosammlung, der „Helene Anderson Collection“, falsche Angaben
Glücklich waren alle: Die Zeit schrieb von einem „Jahrhundertfund“, das Magazin der Süddeutschen widmete der Geschichte gleich einen zwölf Seiten langen Beitrag, und das Auktionshaus Sotheby's konnte stolz einen Weltrekord für die Versteigerung einer fotografischen Privatsammlung verkünden. Nur einer mochte in den Jubel nicht einstimmen: der an der Bochumer Ruhr-Universität lehrende Kunsthistoriker Herbert Molderings. Als am 2. Mai des vergangenen Jahres bei Sotheby's in London die „Helene Anderson Collection“ mit 221 erstklassigen Vintage-Abzügen der bedeutendsten FotografInnen der klassischen Moderne für fast 2,1 Millionen Pfund Sterling versteigert wurde, kamen Molderings erste Zweifel.
Eine Sammlerin namens Helene Anderson, laut Auktionskatalog 1891 im schlesischen Bunzlau geboren und selbst als Hobbyfotografin tätig, war der Fachwelt bis dato unbekannt geblieben. Wer nach dem Einlieferer des Konvolutes fragte, erhielt die Auskunft, es handele sich um den Sohn der Sammlerin, und wurde ansonsten von Sotheby's auf die am Kunstmarkt übliche Diskretionspflicht verwiesen. Weil er an einer Sprachbehinderung leide, gebe der Besitzer keine Telefoninterviews.
Die Sammlung Helene Anderson allerdings war durchaus bekannt. Schon vor der Auktion wies Molderings in einem Beitrag für die FAZ darauf hin, daß der Zwickauer Museumsdirektor Hildebrand Gurlitt Ende der 20er Jahre begann, eine Fotosammlung zusammenzukaufen, die in großen Teilen der bei Sotheby's angebotenen Kollektion entsprach. Molderings bezweifelte deshalb die vom Auktionshaus im Katalog erzählte Geschichte, der Sohn der Helene Anderson habe erst Mitte der 90er Jahre auf dem Speicher die Sammlung seiner Mutter gefunden, und konnte schließlich Ende Januar auch den Namen des tatsächlichen Besitzers nennen: Die Fotosammlung gehörte dem Dresdner Brems- und Kupplungsfabrikanten Kurt Kirchbach und war unter seinem Namen auch von Gurlitt, der inzwischen als Direktor nach Hamburg gewechselt war, im Januar und Februar 1932 im dortigen Kunstverein als „Internationale Foto-Ausstellung“ gezeigt worden. Kirchbach, der sich nach Molderings Recherche „rasch zu einem Mitläufer des Regimes“ entwickelte, hielt seine Fotosammlung vor den Nationalsozialisten verborgen und nahm sie, als er im April 1945 vor der Roten Armee in den Westen floh, mit sich. Blieb die Frage, wie die Foto-Inkunabeln 52 Jahre später zur Auktion bei Sotheby's fanden.
Darüber hat, unter dem Druck von Molderings' Recherchen, das Auktionshaus inzwischen selbst Auskunft gegeben. Einlieferer des Konvolutes waren demnach, so erklärt eine Verlautbarung der Anwälte des Ehepaars, Angelica und Hans-Joachim Burdack. Angelica Burdack hatte offenbar in einem Basler Altenheim die Witwe des 1967 verstorbenen Kurt Kirchbach, Hildegard Kirchbach, betreut und vor deren Tod 1995 die Sammlung mit der Auflage geschenkt bekommen, den Namen Kirchbach nicht zu erwähnen. Bei der Einlieferung habe man deshalb den Namen der Mutter von Hans- Joachim Burdack, Helene Anderson, angegeben.
Sotheby's selbst spricht von „Täuschung“ und äußert „Bestürzung darüber, von den Einlieferern bewußt falsche und irreführende Informationen“ erhalten zu haben. Den Vorwurf, selbst nicht sorgfältig recherchiert zu haben, weist das Auktionshaus allerdings zurück: „Sotheby's sah keinen Grund, den guten Glauben an die Informationen und unterstützenden Familienfotos in Zweifel zu ziehen, mit der die Einlieferer eine Reihe von Fragen nach der Herkunft beantwortet haben.“ Weitere Fragen bleiben dennoch offen: Die zum Beispiel, ob die Schenkung von Hildegard Kirchbach an Angelica Burdack rechtsgültig vollzogen wurde. Zu klären wäre ebenfalls, was aus den restlichen der rund 400 Aufnahmen geworden ist, die 1931 als „Foto-Sammlung Kurt Kirchbach“ im Hamburger Kunstverein ausgestellt waren. Bei Sotheby's wurden im Mai 1997 nur 221 davon versteigert. Stefan Koldehoff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen