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Bewegtes Volk ohne Parkraum

■ Nüchterne Zahlen der Statistiker für die dramatische Motorisierung der Stadt: Seit 1970 ein Plus von 130 Prozent, Rückgang der Personenschäden. Tempelhof ist die Heimat der Müllwagen

Endlich gibt es eine vernünftige Erklärung für den massiven Verkehr in der Innenstadt: Die Autos müssen sich bewegen, weil sie einfach keinen Platz zum Parken haben. In Schöneberg zum Beispiel kommen auf einen Kilometer Straße 507 Kraftfahrzeuge. Das macht bei statistisch geschätzten 5,50 Metern pro Wagen eine Parklänge von 2.788,5 Metern auf maximal 2.000 Metern Straße. Kein Wunder, daß die BewohnerInnen der City Park-Mikado spielen.

Solch lehrreiche Einblicke in die Total-Motorisierung der Stadt verschafft eine Monatsschrift des Statistischen Landesamtes (StaLa) „zur Entwicklung des Kraftfahrzeugbestandes in Berlin seit 1970 und zu seiner räumlichen Verteilung“. Denn in den letzten 25 Jahren hat sich der Kfz-Bestand in West-Berlin „nahezu verdoppelt, im Ostteil mehr als verdreifacht und ist in der Gesamtstadt um mehr als 130 Prozent angestiegen“, heißt es in dem Bericht. Die Straßen allerdings sind nur um 7,6 Prozent gewachsen. Für die nun 1,2 Millionen Pkw und Kombis wird es also immer enger. Auf 1.000 EinwohnerInnen kommen 392 Fahrzeuge, was in Augen des ADAC als „untermotorisiert“ gilt. Denn andere deutsche Großstädte liegen weit darüber: In München besitzen von 1.000 EinwohnerInnen 616 ein Auto, in Frankfurt/Main 513 und in Hamburg noch 476. Doch auch in der Hauptstadt hat sich die Motorisierung rasant beschleunigt: Teilten sich 1970 statistisch gesehen noch 5,22 BerlinerInnen ein Auto, sind es heute nur noch 2,83. Rein statistisch betrachtet, ist damit jeder öffentliche Nahverkehr überflüssig: Unter der Annahme, daß 4,5 Plätze pro Auto angeboten werden, so die Statistiker, „bieten die in Berlin registrierten Fahrzeuge insgesamt Platz für 5,5 Millionen Personen und somit für 2 Millionen Menschen mehr, als die Stadt Einwohner hat.“

Rapide angenähert hat sich auch die Zahl der Autos an die Zahl der Wohnungen. Inzwischen kommt auf vier von fünf Wohnungen eine Blechkiste und „dokumentiert so den Zuwachs an Wertschätzung der individuellen Mobilität im Vergleich zur menschlichen Grundfunktion des Wohnens“, meint der Bericht.

Was ist los in Tempelhof? fragt man sich beim Lesen der Statistik. Die nämlich weist aus, daß 98 Prozent aller Sonder-Kfz der Polizei und über 80 Prozent der Müllwagen in diesem Bezirk gemeldet sind. Daß dagegen 68 Prozent aller Busse ihr Zuhause in Schöneberg haben, hat als Grund die Zentrale der BVG ebendort. Spekulieren läßt sich über Charlottenburg, wo vier Fünftel der Feuerwehrfahrzeuge und über ein Drittel der Krankenwagen gemeldet sind. Wohnmobile dagegen wohnen vor allem in Neukölln, Reinickendorf und Spandau.

Auch über die unerfreulichen Seiten des Verkehrs schweigt der Bericht nicht: Zwar ist die Zahl der „Unfälle mit Personenschaden“ seit 1970 in der Gesamtstadt um zwei Drittel zurückgegangen, doch im Osten stieg diese Zahl zwischen 1989 und 1993 um 90 Prozent. Auch die Meldung „Einheit Berlins bei der Motorisierung der Bevölkerung fast vollendet“ ist zweischneidig. So gibt es die meisten Autos pro 1.000 Einwohner in Zehlendorf, wo aber gleichzeitig am meisten Platz ist: Nur durchschnittlich 2,2 Autos stehen hier auf 1.000 m2 Fläche. Davon können die Innenstadtbezirke nur träumen: In Schöneberg etwa drängeln sich 9,1 Autos auf dieser Fläche, obwohl gerade dort die Meldungen von Autos pro Kopf und pro Wohnung mit am geringsten liegen.

Insgesamt halten die Berliner AutohalterInnen den deutschen Marken die Treue: 63 Prozent aller gemeldeten Wagen sind deutsche Wertarbeit, Volkswagen liegt mit 21 Prozent Marktanteil weit vorn. Auch die DDR lebt automobil weiter: Insgesamt 28.000 Trabant und Wartburg zweitakten noch durch die Stadt. Bernhard Pötter

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