: „Frei gewählte Armut“
Mit der Sozialhilfekürzung steht der SPD eine neue Debatte um Armut ins Haus. Ex-Sozialsenator Jan Ehlers macht den Anfang ■ Von Silke Mertins
Hamburg gibt jährlich 675 Mark Kleidergeld pro Sozialhilfeempfänger aus. „Damit sind wir Spitzenreiter“, sagt Petra Bäurle, Sprecherin der Sozialbehörde. In München sind es 593, in Frankfurt 489 Mark. Beide Städte sind rotgrün. Hannover im Schröderland zahlt sogar nur 359 Mark. Hamburg könne also, errechnete die sparbeflissene Behördenarbeitsgruppe „Herkules“, rund 8,5 Millionen Mark pro Jahr sparen, wenn das Kleidergeld um 15 Prozent abgesenkt würde. Damit läge die Hansestadt immer noch im oberen Drittel. „Das ist erst einmal eine Feststellung, die politisch noch bewertet werden muß“, so Bäurle. Die Sozialsenatorin Helgrit Fischer-Menzel (SPD) sei im übrigen der Meinung, daß „wir weder beim Kleidergeld, noch beim Weihnachtsgeld sparen wollen“.
Die Betonung dürfte auf wollen liegen. Denn gespart werden muß bekanntlich. Viele SPD-Abgeordnete, die am Montagabend von der Senatorin vorgetragen bekamen, welche „Hamburgensien“es bei den freiwilligen Sozialleistungen noch gibt, werteten die Kleidergeld-„Feststellung“deshalb auch als Sparofferte. Mit der Diskussion, die durch die Kürzung der Sozialhilfe bei Alleinerziehenden ausgelöst wurde, scheint sich derzeit ein ganzes Streichgewitter zusammenzubrauen.
Ex-Sozialsenator und Haushaltsausschußvorsitzender Jan Ehlers räumt ein, daß in der SPD-Fraktion „ein bißchen grundsätzlicher“diskutiert worden sei. Bisher hätten die Genossen „keinen klaren Kopf in dieser Sache“gehabt, obwohl das Thema „sozialpolitisch eine Diskussion wert wäre“.
Beispiel Zuschuß für Alleinerziehende: „Es geht überhaupt nicht um das Kind.“Der Erwachsene bekomme den Zuschuß. „Das bedeutet, daß diese Person von der Erwerbsarbeit freigestellt wird – auf Kosten der Sozialhilfe.“Bisher habe man sich davor gedrückt, zu diskutieren, ob „darüber überhaupt ein gesellschaftlicher Konsens besteht“. Die Regelung basiere nämlich auf einem „mittelschichtsorientierten Bild von der Rolle der Frau“.
Heute aber gebe es nicht nur erheblich mehr Kita- und Hortplätze in Hamburg, die Situation habe sich auch insgesamt gewandelt. „Der Status der Alleinerziehenden ist kein realpolitischer“, sondern oftmals würde nur „unter dieser Flagge gesegelt“. Wenn eine Mutter – oder ein Vater – sich also entscheide, von der Sozialhilfe zu leben, um möglichst viel Zeit mit dem Kind zu verbringen, sei das zwar verständlich. Doch es gebe keinen Grund, die Gesellschaft für diese „individuelle Entscheidung“bezahlen zu lassen. Es handle sich um „frei gewählte Armut“. Die Sozialhilfe sei aber als Überbrückung einer Notlage gedacht und nicht als Teil der Lebensplanung.
Die GAL ist nicht eben begeistert von dieser Debatte. „Wir erwarten, daß wir das gesamte Sparpaket vorgelegt bekommen“, kommentiert die grüne Fraktionsvorsitzende Antje Möller knapp. „Wir wollen keine Änderung der Sozialhilfe.“Wichtige Behördenentscheidungen müßten, auch wenn sie in Ressortzuständigkeiten fallen, „mit dem Koalitionspartnern besprochen werden“.
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