: Wenige hundert Betroffene leben noch
■ Senatsinitiative zur Aufhebung von NS-Unrechtsurteilen beschlossen
Nachdem im Januar Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) in Bonn an der CSU gescheitert war, macht jetzt Berlin einen weiteren Anlauf, die noch immer geltenden Verurteilungen der NS-Justiz per Gesetz zu entkräften. Der Senat beschloß gestern, am 6. März eine Gesetzesvorlage zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in den Bundesrat einzubringen.
Diese Bundesratsinitiative ist, so sagte Justizsenator Erhart Körting (SPD), mit den anderen Bundesländern abgesprochen: „Außer Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen wollen alle Länder die Vorlage im Bundesrat beschließen.“ Bayern und Baden-Württemberg lehnen nach Auskunft von Körting ein solches Gesetz ab, da es bereits entsprechende Regelungen in ihren Ländern gebe. „Diese Gesetzesvorlage geht weit über das hinaus, was dort Rechtslage ist“, sagte dagegen Körting, „der entscheidende Unterschied ist, daß man nach unserer Vorlage nicht mehr nachweisen muß, daß ein Urteil Unrecht war. Wir stellen das Unrecht kraft Gesetzes fest.“
In der Sache bezieht sich der Senat auf den geplanten Gesetzesentwurf des Bundesjustizministers. Bundeseinheitlich sollen danach NS-Unrechtsurteile aufgehoben werden, ohne daß es noch einer Einzelfallprüfung und eines Antrags des Betroffenen bedarf. „Kraft Gesetzes wollen wir die politischen und rassistischen Urteile, insbesondere Entscheidungen des Volksgerichtshofs, der Standgerichte, des Reichskriegsgerichts und sonstiger Militärgerichte aufheben“, sagte Körting.
Die Unrechtsurteile sollen nach der Vorlage ganz aufgehoben werden, auch wenn tatsächlich eine Straftat vorlag, die „nur“ zu hoch bestraft wurde. Als Beispiel nannte der Justizsenator das Klauen eines Mantels aus einem Luftschutzkeller, das normalerweise als Diebstahl bestraft worden wäre. Im Nationalsozialismus stand darauf die Todesstrafe.
Allein für Berlin geht Körting von 200.000 „in besonderer Weise fragwürdigen“ Urteilen aus, von denen nur ein kleiner Teil aufgehoben wurde. „Wenige hundert Betroffene“ davon lebten heute noch, so Körting. Doch: „Wir sind es den Betroffenen schuldig, wenigstens in einem förmlichen Akt im nachhinein das Unrecht festzustellen.“
Der Justizsenator geht davon aus, daß der Gesetzentwurf im Bundesrat glatt beschlossen wird und noch im Mai in den Bundestag eingebracht werden kann. Dort stehen die Chancen jedoch aufgrund der ablehnenden Haltung der CSU nicht gut für eine Verabschiedung – auch wenn die Bündnisgrünen bereits einen ähnlichen Antrag eingebracht haben und die SPD ihnen Gesprächsbereitschaft signalisiert. Barbara Junge
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