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Im Kampf mit den Regeln

Jim Sheridan eröffnete mit „Der Boxer“ den Wettbewerb der Berlinale. Nach dem Erfolg mit „Im Namen des Vaters“ drehte er erneut einen Film über den Irland-Konflikt: ohne Pathos und Parteinahme  ■ Von Andreas Becker

Dieser Hubschrauber. Zu Beginn steht er wie ein Insekt in der Luft. Irgend etwas wird gebaut. Der Hubschrauber scheint dabei zu helfen. Oder wird vielleicht gerade jemand einbetoniert? Und warum hat der olivfarbene Hubschrauber ein rotes Kreuz als Markierung? Freund oder Feind? Ambulanz oder Militär? Besatzer oder Beschützer?

Wer sich in Nordirland nicht auskennt, hat Probleme, die Chiffren des Bürgerkriegs zu entschlüsseln. Und so wird der in Jim Sheridans neuem Film immer wieder durchs Bild knatternde Helikopter, der den unten auf der Erde ablaufenden Konflikt beobachtet, zum Sinnbild unserer eigenen hilflosen Sichtweise. Wir da oben sind sicher, sind unbeteiligte Zuschauer, finden das jahrzehntelange Morden ziemlich schlimm. War uns früher klar, daß die Briten daran schuld sind und die IRA einen berechtigten bewaffneten Befreiungskampf führt, haben wir später gelernt, die da unten eher mit diffuser Distanz denn mit blinder Solidarität zu beschenken. Dazu trugen Berichte über Beinschüsse für Ladendiebe oder vermeintliche Verräter der guten Sache durch IRA-Standgerichte nicht unwesentlich bei.

Als Sheridans Boxer nach 14 Jahren Hochsicherheitsknast heimkommt nach Belfast, herrscht dort eine Atmosphäre der latenten Gewalt. Es ist eine Zeit des Umbruchs. Die gepanzerten Armeefahrzeuge patrouillieren immer noch zwischen harmlosen Fußgängern herum, aber etwas ist anders: Die IRA verkündet, ab sofort herrsche Ceasefire – Waffenstillstand. Trotzdem ist Daniel Day-Lewis, der Ex-Boxer Danny, nach Haftverbüßung nicht einfach auch Ex- IRA-Mitglied. Die Organisation erwartet weiter Loyalität um fast jeden Preis. Sein eigenes, höchst individuelles Lebensglück zu versuchen, das ist in dieser Welt eine zu radikale Infragestellung des klaren Frontverlaufs. Die Checkpoints zwischen Stadtteilen und in den Hirnen der kriegsgeschulten Menschen funktionieren auch bei äußerem Waffenstillstand noch prächtig.

Daß Danny seine zugemauerte Wohnung mit Hammerschlägen brachial zurückerobert, scheint für die IRA-Chefs noch akzeptabel. Daß sich aber das Techtelmechtel mit seiner Jugendliebe Maggie (Emily Watson, seit ihrem furiosen Spiel in „Breaking The Waves“ auch außerhalb Großbritanniens bekannt) wiederbelebt, untergräbt die Kampfmoral. Und so ist „Der Boxer“ durchaus kein reiner „Männerfilm“.

Um ihre Liebe zu Danny durchzuboxen, muß Maggie gegen einen Männerhaufen ankämpfen, der überkommene, frauenfeindliche (katholische) Moralvorstellungen konserviert, um angeblich ein Land zu befreien. Für Maggie kommt erschwerend hinzu, daß ihr Vater ranghoher IRA-Ideologe ist, der über das Wohl und Wehe ihres Lovers entscheiden kann wie ein Richter und Polizist in einer Person. Irgendwann kann Maggie Danny nur noch raten, fluchtartig das Land zu verlassen, denn sein Häftlingsbonus ist aufgebraucht. Schon vorher hatte der Gegenspieler von Maggies Vater, dessen Terrorgruppe den Waffenstillstand nicht akzeptiert, Danny unmißverständlich gesagt, was bei Nichtachtung der Regeln passiert: „Wenn du nicht geschwiegen hättest im Knast, hättest du schon längst eine Kugel im Knie.“ Maggie als Frau hat keine Stimme. Ihren Vater trifft sie nirgends ohne Bodyguards. Die Wohnung ist IRA-Sicherheitsgebiet. Wenn der Vater sich mit anderen zur Beratung trifft, dann heißt es durch diverse Wohnungen und Wanddurchbrüche hinter Schrankwände zu schlüpfen, um zum Konferenz- Wohnzimmerversteck vorzudringen. Vor allem faszinierend an Sheridans Film ist die latente Spannung, die noch über den banalsten Alltagsgeschäften liegt. Ständig ist man darauf gefaßt, daß jemand wie aus dem Nichts zuschlägt. Vielleicht trägt zu dieser Atmosphäre auch bei, daß Daniel Day-Lewis während der 16 Wochen Dreharbeiten für die drei Film-Boxkämpfe trainierte. Sein Körper scheint dauernd unter Spannung zu stehen. Sein Trainer hielt ihn danach für so fit, daß „ich einen Weltklasseboxer aus ihm hätte machen können, wenn ich ihn mit 19 zum Training bekommen hätte“. „Es war grausam, einen so unnatürlichen Level an Bereitschaft zu erhalten“, sagt Daniel Day-Lewis.

Jim Sheridan gelingt mit dem „Boxer“ zum zweiten Mal nach seinem Berlinale-Erfolg „Im Namen des Vaters“ ein Nordirland- Film, der wohl noch konsequenter als sein Vorgänger ohne Pathos und direkte Parteinahme auskommt. Scheinbar hat der langsame Entspannungsprozeß – der immer noch äußerst labil ist, wie die zahlreichen Mordanschläge (vor allem unionistischer Splittergruppen) der letzten Monate beweisen – zumindest die Möglichkeit befördert, die „eigenen“ Unmenschlichkeiten exakter ins Blickfeld eines Films zu rücken, ohne diese mit den Brutalitäten der Briten aufzurechnen. Waren die in „Im Namen des Vaters“ noch furchteinflößende und teilweise gewaltgeile Besatzerbüttel, sind die Vertreter der Briten nun eher Wesen von einem anderen Stern: in einen Konflikt verwickelt, der sie eigentlich nichts (mehr) angeht. Wenn die Soldaten einen Ermordeten bergen wollen, pirschen sie sich schwer gepanzert und ängstlich umherschauend an ihn heran, als könne seine Leiche zurückschießen. Diese Briten sind degradiert zur Ranghöhe überflüssiger Zuschauer, hilflose Aliens in Hubschraubern.

Die Boxszenen des Films symbolisieren einen zivilisierten Kampf mit klaren Regeln. Wenn einer am Boden liegt, tritt man ihm nicht noch in den Bauch. Stellt allein schon die Befolgung solch elementarer Regeln die Gesetze des Terrors auf den Kopf, so ist die Zusammensetzung des Boxkampf- Publikums ein Politikum. Der Horror für die Hardliner: Protestanten und Katholiken vereint in einem Saal, die sich nicht gegenseitig die Birne einschlagen, sondern ihre Aggressionen von zwei Männern im Ring ausagieren lassen. Da hilft nur die mächtige Wucht einer vor der Boxhalle explodierenden Autobombe, um die Fronten im Saal und in der Folge auch auf der Straße schlagartig wiederzubeleben. Der erste nordirische Waffenstillstand noch zu John-Major-Zeiten scheiterte. Im Film muß am Ende jemand sterben. Bei der Exekution kreist ein Hubschrauber am Himmel.

Wettbewerb: heute, 12 Uhr, Royal Palast; 20 Uhr, International; 23.30 Uhr, Urania. Ab 19.2. bereits im Kino

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