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■ Irak-Krise: Deutschland sollte den USA nicht bedingungslos folgenDer eigenen Stimme trauen

Ein neuer Angriff auf den Irak droht – und die Öffentlichkeit schweigt. Was ist anders als 1991, als die Universitäten geschlossen waren und die Straßen und Plätze wackelten? Das öffentliche Bewußtsein ist anders geworden. Die Stimme, die sich damals erhob, war eine deutsche Stimme. „Hört auf uns!“ rief sie. „Der Krieg an sich ist böse! Wir wissen es aus schuldiger Erfahrung!“ So will jetzt niemand mehr rufen. Das öffentliche Bewußtsein empfindet sich nicht mehr als deutsch, sondern als amerikanisch. In den letzten Jahren ist eine große Amerikanisierungswelle durch alle Lebensgebiete gegangen, auch durch das politische Bewußtsein der Linken und Pazifisten. Auch in diesen Kreisen will man nicht mehr mit deutscher Stimme sprechen, sondern genießt es, sich stumm in das große westliche System einzukuscheln.

Darin liegt einerseits ein regressives, bedenkliches Element, andererseits ein gutes, vorwärtsweisendes.

Regressiv ist die blinde Machtanbetung, die zur Ausschaltung des politischen Gewissens führt. Anpassung ist alles. Bedenklich ist die Lebenslüge, mit der das westliche Zugehörigkeitsgefühl einhergeht: Viele Deutsche identifizieren sich so weitgehend mit dem Westen, daß sie sich selbst als die Nachfolger der Sieger über Hitler empfinden. Sie haben ihre politische Korrektheit, insbesondere ihren Philosemitismus so gesteigert, daß sie sich als Befreier von Auschwitz fühlen. Dieses falsche Bewußtsein zeigte sich, als die Nation beleidigt war, weil Kohl bei der Jubiläumsfeier des D-Day nicht dabeisein durfte. Aber: Wir können uns drehen und wenden, wie wir wollen – wir werden nie zum Kollektiv der Alliierten gehören. Was uns als Deutsche zusammenhält, ist die Zugehörigkeit zu einem Volk, das zwei große, verlorene Kriege hinter sich hat. Wenn wir das vergessen, vergessen wir Deutschland.

Aber vielleicht sollten wir Deutschland tatsächlich vergessen. Denn darin liegt das erfreuliche, zukunftsweisende Element der gegenwärtigen Machtgebanntheit: Die Westorientierung ist der Weg zu einer politisch geformten Weltgesellschaft. Dieser Weg geht nicht, wie es idealerweise der Fall wäre, direkt auf den Völkerbund, die UNO, zu. Die Weltvereinigung bedarf der Kristallisation um ein kulturelles Zentrum, und als ein solches erweisen sich die USA. Die Unterwerfung unter ihre Macht dient dem Weltfrieden, weil sie den Ansatz für eine Weltzentralmacht bietet.

In dem von den USA dirigierten Konzert der vereinigten Völker allerdings sollte die deutsche Stimme nicht zögern, ihr eigenes Lied zu spielen: Der Krieg an sich ist böse! Wir wissen es aus schuldiger Erfahrung! Denn wenn die Pax Americana ein Frieden sein soll, darf dieser Ton nicht fehlen. Die Einstimmigkeit, die Gleichschaltung, zu der die öffentliche Meinung in ihrer Stummheit jetzt strebt, ist undemokratisch und widerspricht der Kultur, der sie sich andererseits anähneln will: der amerikanischen. Sibylle Tönnies

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