: Nur die Waffen sprechen
■ Mit Überfällen auf ruandische Dörfer trägt Ruandas ehemalige Hutu-Armee den Krieg gegen die Tutsi zurück in die Heimat. An einem Dialog ist sie nicht interessiert Dominic Johnson und Oliver Meisenberg
Nur die Waffen sprechen
„Sie haben Babys, Frauen, Kinder und alte Leute zu Tode gehackt. Ganz egal, ob es Tutsi oder Hutu waren.“ So beschreibt Jean- Baptiste Muhirwa, Gouverneur der Präfektur Gisenyi, einen Milizenangriff auf ein Dorf im Nordwesten Ruandas am vergangenen Freitag. 18 Familien wurden dabei komplett ausgelöscht – insgesamt 58 Personen.
In der Westhälfte Ruandas kommt es immer wieder zu solchen Massakern. Gutorganisierte Banden, manchmal mehrere hundert Menschen stark, überfallen ein Dorf und hinterlassen so viele Tote wie möglich. Mehrere tausend Menschen sind seit Beginn dieser Angriffe im Mai 1997 bereits ums Leben gekommen. Am stärksten betroffen ist der von steilen Bergen und tiefen Schluchten geprägte Nordwesten Ruandas um Gisenyi und Ruhengeri – die Heimat der meisten Würdenträger des früheren ruandischen Hutu-Regimes.
Die Angriffe sind zu großangelegt und zu koordiniert, als daß sie einfach das Werk versprengter „krimineller Banden“ sein könnten, wie Ruandas Regierung das Problem oft herunterzuspielen versucht. Die meisten Beobachter sind sich einig, daß hinter den Überfällen Elemente der früheren ruandischen Armee stecken, die 1994 für den Völkermord an Ruandas Tutsi mitverantwortlich war und sich dann vor der heute herrschenden einstigen Tutsi-Guerilla RPF („Ruandische Patriotische Front“) mit Hunderttausenden Zivilisten nach Zaire rettete. Auf Umwegen haben sich Teile von ihnen nach Ruanda zurückbewegt, seit im Herbst 1996 Ruandas RPF- Armee zusammen mit der frischgegründeten zairischen Rebellenallianz AFDL („Allianz Demokratischer Kräfte für die Befreiung von Kongo/Zaire“) die hochgerüsteten Flüchtlingslager in Zaire zerschlug. In Ruanda führen sie nun den Kampf gegen die „Tutsi- Herrschaft“.
Maßgebliche Figur bei der Reorganisation der ruandischen Hutu-Armee nach 1996 war Brigadegeneral Gratien Kabiligi. Er lebte von 1994 bis 1996 in der zairischen Grenzstadt Bukavu und half danach, als die AFDL die Region eroberte, der Mobutu-Armee bei der Verteidigung der ostzairischen Metropole Kisangani. Kurz bevor die AFDL Mitte März 1997 Kisangani eroberte, setzte sich Kabiligi mit mehreren tausend Soldaten ab und verschwand im zairischen Regenwald. Durch die feindlichen Linien hindurch soll sich die Kabiligi- Truppe zurück nach Ruanda durchgeschlagen haben. Es war eine bewußte stragegische Entscheidung, den Krieg zurück in die Heimat zu tragen, während andere ruandische Hutu-Kämpfer zur gleichen Zeit immer weiter weg von Ruanda Richtung Kinshasa und Kongo-Brazzaville gedrängt wurden. Im Mai begannen die ersten größeren militärischen Auseinandersetzungen in Ruanda.
Kabiligi wurde im Juli 1997 in Kenias Hauptstadt Nairobi verhaftet und wartet seitdem im tansanischen Arusha auf seinen Prozeß vor dem UNO-Völkermordtribunal. Seinen Platz haben nun jüngere ehemalige Offiziere eingenommen. Zur Verfügung stehen ihnen neben dem aus Kisangani zurückgeführten kriegserfahrenen Kontingent 33.000 weitere ehemalige Soldaten, die im Zuge der Massenrückkehr der ruandischen Flüchtlinge aus Zaire 1996 auf legalem Wege nach Ruanda zurückfanden.
Diese Zahlen erklären, warum Ruandas RPF-Armee mit der Lage nicht fertig wird. Die RPF- Armee zählt etwa 50.000 Mann – Militärexperten zufolge müßte für eine erfolgreiche Antiaufstandsbekämpfung die reguläre Armee zahlenmäßig mindestens dreimal so stark sein wie die Aufständischen. Immer wieder werden Offiziere und Kommandeure abgesetzt, weil sie Angriffe nicht abwehren konnten. Manchmal begeben sich einzelne Armee-Einheiten auf Rachefeldzüge und bringen ihrerseits Zivilisten um.
Das für die Regierung ungünstige Kräfteverhältnis ist auch ein Grund, warum die heutigen Rebellenführer es nicht für nötig halten, öffentlich in Erscheinung zu treten. Wenn nach außen kein Gesprächspartner zu erkennen ist, kann es keine andere Lösung geben als die militärische Eskalation. Und die Rebellengruppen sind sich sicher, daß sie die nicht verlieren – sie wähnen die Hutu-Mehrheit in Ruanda auf ihrer Seite.
Eine Verhandlungslösung für Ruanda, wie sie einige Diplomaten jüngst gefordert haben, ist daher kurzfristig nicht möglich. „Wir werden nicht mit militärischen Aktionen aufhören, bevor wir das Land stabilisiert haben“, sagte RPF-Führer Paul Kagame kürzlich in Brüssel. „Denjenigen, die von einer politischen Lösung reden, sage ich: Wir sind nicht bereit zu akzeptieren, daß die Teilnehmer am Völkermord einen Platz in der Politik bekommen. Das ist unsere politische Lösung.“
Ein ehemaliger ruandischer Diplomat sagt: „Die Verlierer reden nicht, und die Gewinner reden zuviel.“ Das Denken der Rebellen gibt er so wieder: „Es ist nicht der Moment für politische Strukturen und leere Versprechungen von Dialog und Verhandlungen.“
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