Norddeutscher Flugzeugbau in Not

■ Daimler-Konzern will Airbus-Belegschaften dritteln / 3000 Entlassungen in Finkenwerder? IG Metall will Kampf, Betriebsrat kaum Von Florian Marten

Gestern mittag um 12.08 Uhr platzte dem norddeutschen IG-Metallboß Frank Teichmüller endgültig der Kragen: „Wer jetzt wie Daimler-Benz und Dasa den Konsens kündigt, muß den Widerstand aller spüren“, teilte er den Hansestadtmedien per Fax mit. Kein Wunder, die Liste möglicher Arbeitsplatzvernichtungen, gestern um 11Uhr vor den Airbus-Betriebsräten im CCH veröffentlicht (s. auch Bericht S. 6), hat es in sich:

Die Daimler-Airbus (DA) mit ihren knapp 15.000 Arbeitsplätzen in Norddeutschland könnte bis 1998 auf nur noch 5.900 Beschäftigte zusammenschnurren: Setzt Daimler die radikalste Variante seines Sparkonzeptes „Dolores“ in die Tat um – die Entscheidung fällt im Oktober – dann geht die Arbeitsplatz-Sense quer durch den Norden: In Hamburg-Finkenwerder von 7.200 auf 4.600, Bremen von 2.793 auf 650, Nordenham von 1.835 auf 1.000, in Stade von 1.200 auf 350 und in Varel von 1.153 auf 200 Arbeitsplätze.

Dabei fielen bereits seit 1993 mehrere Tausend Airbus-Jobs im Norden weg. Teichmüller: „Die Betriebsräte der Deutschen Airbus haben mit den Belegschaften bereits eine Vielzahl schwieriger Maßnahmen mitgetragen.“ Jetzt sieht der IG-Metall-Boß das Ende der Fahnenstange erreicht: „Belegschaften, Länder und Kommunen werden gemeinsam um den Erhalt der Arbeitsplätze und der Standorte kämpfen.“ Gemeinsamer Kampf? Unmißverständlich hatten sich die Airbus-Betriebsräte in den vergangenen Wochen eine offensive Einmischung der IG Metall verbeten und ließen Teichmüller gestern nicht mal auf ihrer Pressekonferenz auftreten. Mehrfach hatten seit Anfang Juli, als Betriebsräte und IG Metall erstmals von der Sparattacke Wind bekamen, führende IGM-Funktionäre die Betriebsräte gemahnt, den sozialpartnerschaftlichen Schmusekurs zu verlassen.

Der im Kampf um die ostdeutschen Werften gestählte Teichmüller war und ist bereit, seine Organisation voll für den Erhalt der Airbus-Arbeitsplätze eintreten zu lassen. Erwin Hilbrink, Chef des Gesamtbetriebsrates, denkt da anders. Er hofft auf ein von den automobilophilen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber und Gerhard Schröder anberaumtes Daimler-Luftfahrt-Gipfeltreffen am 25. September in München: „Wenn Schrempp es ernst meint, soll er in den Dialog treten.“ Während Teichmüller glaubt, ohne massiven öffentlichen Druck sei nichts zu erreichen, hoffen Hilbrink & Co auf die sozialpartnerschaftliche Klaviatur unter Einbezug industriefreundlicher Spitzenpolitiker. Die Stoßrichtung ist klar, auch wenn Hilbrink betont: „Wir wollen nicht auf Dauer Subventionsempfänger sein.“ Mit staatlichen Hilfen soll der drohende Abbau der Flugzeugindustrie gestoppt werden.

Für Hamburgs Senat ist das aktuelle Desaster besonders pikant: 1989, als Daimler den Hamburger Airbus-Bauer MBB noch nicht geschluckt hatte, besaß die Hansestadt eine Sperrminorität, um den Verkauf zu stoppen. Nicht zuletzt auf Druck von Altbundeskanzler Helmut Schmidt, der vehement für eine „Zusammenfassung der zersplitterten Luft- und Raumfahrtindustrie unter einem leistungsfähigen industriellen Management“ geworben hatte, gab Hamburg sein Ja-Wort. Als Gegenleistung bekam der Senat von Daimler ein „Konsultationsrecht“ in Fragen, die den Standort Hamburg betreffen – aber natürlich keine Mitsprache. Der heutige Daimler-Chef Jürgen Schrempp wußte es schon damals: „Wir geben bewußt keine Standortgarantie. Wir nehmen allenfalls auf gewachsene Strukturen Rücksicht, so lange sie technologisch und betriebswirtschaftlich sinnvoll sind.“