: „Verkasperung des Gerichts“
■ Nötigungsverfahren gegen GALier wegen „Geringfügigkeit“ eingestellt/ In Hamburg sind Sitzblockaden trotzdem rechtswidrig Von Heike Haarhoff
Kein Freispruch, kein erhoffter Maßstab für weitere Strafprozesse gegen DemonstrantInnen wegen „Nötigung durch Verkehrsblockade“. Dafür endlich Ruhe nach knapp fünfjährigem Rechtsstreit: Gestern wurde der Prozeß gegen den GALier Peter Riedel, 1991 in erster Instanz wegen Nötigung im Straßenverkehr zu 20 Tagessätzen a 60 Mark verurteilt, wegen „geringer Schuld“ nach Paragraph 153 Strafprozeßordnung (StPO) im Berufungsverfahren von der Kleinen Strafkammer 7a des Landgerichts Hamburg eingestellt.
Aufatmen beim Angeklagten: Die Verfahrenskosten – Verteidiger Manfred Getzmann schätzt sie inzwischen auf mindestens fünfmal so hoch wie die geforderte Strafe – trägt die Staatskasse. Die Anwaltskosten muß Riedel selbst tragen. GALier Riedel, stellvertretender Vorsitzender der Bezirksversammlung Eimsbüttel, dürfte nicht nur deswegen mit dem Prozeßende nicht so recht zufrieden sein. Denn der Vorwurf der Nötigung ist nicht aus der Welt; Riedels Schuld wird lediglich als zu gering angesehen. „Daß sich beide Seiten einigten, den Prozeß einzustellen, hängt wohl auch damit zusammen, daß der Vorfall schon fast fünf Jahre zurückliegt“, erklärte Staatsanwalt Michael Kikwitzki gestern.
In der Tat fiel die Rekonstruktion der Ereignisse schwer: Peter Riedel war beschuldigt, am 1. November 1990 um 17 Uhr mit rund 100 weiteren Personen an einer nicht genehmigten Demonstration der Hamburger GAL zur Verkehrsberuhigung auf der Stresemannstraße teilgenommen zu haben. Wegen der 15minütigen Blockade an der Ecke Neuer Pferdemarkt – danach erteilte die Polizei Räumungsbefehl – sei der Verkehr auf der nach stadteinwärts führenden Fahrbahn zum Erliegen gekommen. Bis zur Holstenstraße und zum Millerntorplatz, so die Zeugenaussage des Einsatzleiters, hätten sich die Fahrzeuge gestaut. Peter Riedel, einer der acht von der Polizei festgenommenen – zumeist GALischen – Demonstranten, wurde der Nötigung bezichtigt und zum Zahlen verdonnert.
Gegen dieses Urteil legte der 42jährige Diplom-Volkswirt Berufung ein. Fest davon ausgehend, daß das Landgericht Hamburg das am 15. März 1995 veröffentlichte Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVG) berücksichtigen würde – danach erfüllen TeilnehmerInnen von Sitzdemonstrationen grundsätzlich nicht mehr den Straftatbestand der Nötigung – zogen Peter Riedel und sein Anwalt Manfred Getzmann gestern morgen in den Sitzungssaal. Doch der Vorsitzende Richter Lüdemann und Staatsanwalt Kikwitzki witterten eine „interessante Rechtslage“ und wollten von Freispruch oder Einstellung wegen überlanger Verfahrensdauer nichts wissen. Grund: Vor knapp einem Monat hat der Bundesgerichtshof zu den massiven Autobahn-Blockaden durch Kurden im vergangenen Jahr festgestellt, daß der Straftatbestand der Nötigung bei Demonstrationen doch gegeben ist, wenn Fahrzeuge in der Absicht angehalten werden, eine Barriere zu errichten. Das bezeichnete Anwalt Getzmann als „Verkasperung des BVG“, denn die Autobahn-Blockade sei „nicht mit der GAL-Demo vergleichbar“. Auf dem Rücken seines Mandanten werde eine „höchstrichterliche Retourkutsche“ ausgetragen. – Sämtliche Beweisanträge zu weiteren Zeugen lehnte Richter Lüdemann ab. Daß man sich auf eine Verfahrenseinstellung geeinigt hat, lagwohl daran, daß keiner der Beteiligten Zeit und Muße für weitere Prozeßtage aufbringen kann.
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