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Staatsbetriebe? Bloß weg damit

Berlin ist bundesweiter Vorreiter beim Privatisieren öffentlichen Eigentums. SPD-Finanzsenatorin verkaufte 1997 fast soviel wie Bundesregierung  ■ Aus Berlin Hannes Koch

Wolfgang Rupf, Chef der halbstaatlichen Bankgesellschaft Berlin, rollt mit den Augen. „Völlig unrealistisch“, knurrt der Banker. „Höchstens eine Milliarde Mark kommt dabei heraus.“ Staatseigene Grundstücke und Gebäude in diesem Wert könne seine Bankgesellschaft verkaufen. Mehr aber auch nicht. Ansonsten würden auf dem Berliner Immobilienmarkt mit seinem gigantischen Überangebot die Preise und Renditen vollends abstürzen.

Den Berliner CDU-SPD-Senat fechten diese Bedenken nicht an. Von herbem Geldmangel getrieben, wollen die Koalitionäre soviel Immobilien versilbern, daß sie den Banken knapp 20 Milliarden Mark Kredite zurückzahlen können – und damit pro Jahr 1 Milliarde Zinsen einsparen. Die Beschlußvorlage ist bereits fertig.

An der Spree läuft das größte Privatisierungsprojekt der Bundesrepublik. Besonders die sozialdemokratische Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing treibt den Verkauf von landeseigenen Unternehmen und Immobilien voran. Die FinanzministerInnen der anderen Bundesländer und selbst Bundeskassenwart Theo Waigel (CSU) nehmen sich dagegen aus wie Waisenkinder in Sachen Entstaatlichung.

Hamburg verkaufte unlängst einen Teil seines Energieversorgers HEW, Nordrhein-Westfalen privatisiert den Düsseldorfer Flughafen und Niedersachsen schlug die Harzwasserwerke los. Doch in Berlin kommt ein öffentliches Unternehmen nach dem anderen unter den Hammer. Für 2,85 Milliarden Mark übernahmen 1997 private Konzerne den Energieerzeuger Bewag, gerade wechselte das noch verbliebene landeseigene Aktienpaket am Gasunternehmen Gasag für 1,4 Milliarden Mark den Besitzer. Es folgen die Wasserbetriebe, Flughäfen, die Landesbank, die Bankgesellschaft und etliche Wohnungsbauunternehmen mit Zehntausenden Wohnungen. Auch bei den Krankenhäusern kursieren Verkaufsgerüchte. „Sie werden zur beliebigen Ware“, erzürnt sich Ernst-Otto Kock, Sprecher der Gewerkschaft ÖTV.

Zum Vergleich: Im vergangenen Jahr konnte Bundesfinanzminister Waigel acht Milliarden Mark durch die Privatisierung von Unternehmen und Liegenschaften erwirtschaften. Der viel kleinere Stadtstaat Berlin spielt in der gleichen Klasse: Fugmann-Heesing brachte es auf immerhin rund fünf Milliarden Mark. Trotzdem konnte sie ihr Ziel nicht erreichen: Geplant waren Erlöse von sechs Milliarden. Und für 1998 wird sich die Senatorin noch einmal nach der Decke strecken: Wieder soll die Privatisierung sechs Milliarden erbringen.

Die Verkaufspanik hat eine Ursache: Der Senat kämpft mit einem strukturellen Haushaltsdefizit von neun Milliarden Mark jährlich – rund ein Fünftel des gesamten Haushaltes von 45 Milliarden. Nach einem kurzen Wendeboom stürzte die Wirtschaft beider Stadthälften ins Bodenlose und riß die Steuereinnahmen mit sich. Außerdem beendete die Bundesregierung die Berlinförderung, die früher einen erklecklichen Teil des Haushaltes gedeckt hatte.

„Nach uns die Sintflut“, kommentiert Vollrad Kuhn, wirtschaftspolitischer Sprecher der Berliner Grünen die SPD-Politik. Durch den schnellen Verkauf ließen sich die Probleme nämlich nur sehr kurzfristig lösen.

Der Städtetag lehnt die Verkaufsorgie ab

Zwar vermeide das Land eine zusätzliche Verschuldung und damit neue Zinszahlungen, so der grüne Wirtschaftsfachmann Kuhn. Doch andererseits komme Berlin auch nicht mehr in den Genuß der Rendite, die die Unternehmen an die Landeskasse ausschütten könnten – die streichen in Zukunft die privaten Investoren ein. Bei den Wasserbetrieben etwa ist durchaus nicht ausgemacht, ob die Privatisierung sich langfristig positiv oder negativ für die Landeskasse auswirkt.

Der Städtetag begegnet der Verkaufsorgie mittlerweile mit großer Skepsis. „Wir goutieren nicht, daß komplette Betriebe verkauft werden“, sagt dessen Wirtschaftsdezernent Hennerkes. Viele öffentliche Betriebe dienten schließlich der „Daseinsvorsorge“. Wer garantiere, daß private Betreiber die BürgerInnen flächendeckend und zu erschwinglichen Preisen mit Wasser versorgten, die Mülltonnen leerten und Abwasser entsorgten? Auch die ÖTV befürchtet Preissteigerungen. Gewerkschafter Kock: „Bei den Privaten muß die Rendite stimmen.“

So wirbelt das gigantische Verkaufsprojekt inzwischen die politischen Konstellationen des alten Westberlin durcheinander. Die Temperatur zwischen der ÖTV und der 1996 importierten SPD-Finanzsenatorin liegt knapp über dem Gefrierpunkt. Die Arbeitslosigkeit in der Stadt erreicht neue Rekordwerte. Die Gewerkschaft rechnet mit dem Verlust von 24.000 Stellen im Zeitraum 1991 bis 2000 in den größten öffentlichen Betrieben. Durch den Verkauf könnte sich die Jobvernichtung noch beschleunigen. So schlagen die am Erwerb der Wasserbetriebe interessierten Unternehmen Thyssen Handelsunion und Lyonnaise des Eaux die Vernichtung von 1.800 Stellen vor. Das Unternehmen würde für die Investoren damit rentabler, weshalb sie dem Land einen höheren Kaufpreis von „zusätzlichen 750 Millionen Mark“ versprechen.

Da sucht die ÖTV schon einmal die Nähe zum Vorsitzenden der CDU-Fraktion, Klaus Landoswsky. ÖTV-Sprecher Kock findet sympathisch, daß Landowsky lieber ungenutzte Grundstücke als Betriebe verkaufen will. Im Bemühen, in der SPD-Wählerschaft auf Stimmenfang zu gehen, wettert Landowsky seinerseits gegen das „Totsparen“. Weder er noch KritikerInnen aus den Reihen der Bündnisgrünen wollen sich jedoch zur einzigen, kurzfristig realistischen Alternative zur Privatisierungsstrategie bekennen: der Erhöhung der Neuverschuldung.

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