Indische Parlamentswahlen von Bombenanschlägen überschattet. Bei einer Attentatsserie in Südindien starben mehr als 40 Menschen, über 200 wurden verletzt. 600 Millionen Inder sind ab heute aufgerufen, eine neue Volkskammer zu wählen. Aus Neu-Delhi Bernard Imhasly

Wahlkampf mit Bomben

Eine Serie von Bombenanschlägen in der südindischen Industriestadt Coimbatore am Samstag markierte das blutige Ende der ersten Phase der indischen Wahlkampagne. 43 Menschen wurden getötet und über 200 verletzt, als innerhalb einer halben Stunde über ein Dutzend Sprengsätze in verschiedenen Stadtteilen explodierten. Die schwersten Detonationen ereigneten sich in unmittelbarer Nähe des Orts, wo der Präsident der nationalistischen Hindu- Partei Bharatiya Janata (BJP), Lal Krishna Advani, um diese Zeit eine Wahlrede halten sollte. Er traf jedoch verspätet in Coimbatore ein und entging damit möglicherweise einem Attentat. Die Polizei vermutet militante Muslime als Täter. Rund 180 Menschen, darunter auch drei Muslim-Führer, wurden noch gestern festgenommen, sechs mutmaßliche muslimische Fundamentalisten wurden bei den Polizeirazzien erschossen.

Coimbatore war erst im letzten Dezember Schauplatz von religiösen Unruhen gewesen, als nach einem Mord an einem Polizisten zahlreiche Geschäfte von Muslimen geplündert wurden. 21 Menschen wurden dabei getötet. Radikale muslimische Gruppen hatten die BJP dafür verantwortlich gemacht und Rache geschworen.

Die Gewaltakte in Coimbatore könnten das Verhalten zumindest jener 250 Millionen Wähler beeinflussen, die heute die ersten 220 Parlamentsmandate bestimmen werden. Die restlichen 323 Abgeordneten werden erst im Laufe der nächsten drei Wochen gewählt.

Der Bombenanschlag könnte der Hindu-Partei zusätzliche Stimmen einbringen und ihre führende Position konsolidieren. In den meisten Meinungsumfragen haben sie und ihre Wahlpartner mit einer Sitzzahl zwischen 240 und 260 Mandaten am besten abgeschnitten. Es wird sich nun zeigen, ob das erneute Aufflammen von Gewalt – auch im Nordosten des Landes kam es in der letzten Woche zu einer Reihe von Anschlägen – die Wähler bewegen wird, der BJP im Interesse der Stabilität eine Mehrheit zu geben.

Sie könnten aber auch ganz anders reagieren. Das jüngste Attentat, das Resultat der von der BJP geschürten Animosität zwischen Hindus und Muslimen, könnte dazu führen, daß viele Wahlberechtigte ihre Stimme einer der sogenannten säkularistischen Parteien geben werden.

Dies würde, aufgrund des bisherigen Wahlkampfverlaufs, zweifellos der Kongreßpartei Stimmen einbringen. Sie war die einzige Partei, die in den Umfragen ihre Position während des Wahlkampfs verbessern konnte. Die Wahlaussichten für die Kongreßpartei hatten sich zunächst verschlechtert, da sie die Koalitionsregierung der „Vereinigten Front“ durch ihren Vertrauensentzug zu Fall gebracht hatte. Dann meldete sich mit Sonia Gandhi die jüngste Vertreterin des Nehru/Gandhi-Clans zu Wort. Sie kandidierte nicht für einen Parlamentssitz, aber mit ihren zahlreichen Wahlkampfauftritten vermochte sie die Moral der mit 113 Jahren weitaus ältesten Partei des Landes wieder zu festigen. Obwohl sie über ihr künftiges Engagement Stillschweigen bewahrt, scheint sie doch einen Meinungsumschwung bewirkt zu haben. Frühere Prognosen gingen noch davon aus, daß die Kongreßpartei unter einhundert Mandaten bleiben wird. Mittlerweile traut man ihr sogar zu, daß sie zusätzlich zu ihren 140 Mandaten noch bis zu zwanzig Sitze hinzugewinnen könnte.

Damit hat die Kongreßpartei die Links- und Regionalparteien der Vereinigten Front auf Platz drei verwiesen. Diese haben sich die sinkende Wählergunst allerdings selbst zuzuschreiben. In den meisten Bundesstaaten zerbrach ihre Wahlallianz. Die daraus resultierende Zersplitterung der Wählerstimmen wird den Gegnern zugute kommen. Sie hat sich damit auch den Bonus verscherzt, den sie mit ihrem relativ guten Zusammenhalt als Regierungskoalition gewonnen hatte.

Mit den nun prognostizierten hundert Sitzen werden sich die Frontparteien für eine Kongreßregierung oder die BJP entscheiden müssen. Die Entscheidung dürfte vor allem für die Kommunisten schwer werden. Sie werden sich der BJP mit Sicherheit verweigern und haben geschworen, auch einer Kongreßregierung nicht beizutreten. Damit würden sie aber die Lebensdauer des neuen Parlaments gefährden, und Indien müßte sich demnächst erneut einem aufwendigen Wahlspektakel unterziehen.