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Rudis Reste Rampe Plus Theater

Es wird eng für das Weite Theater in Hellersdorf: Zwar ist es weit und breit der einzige Anlaufpunkt für Jugendliche, doch das beeindruckt das zuständige Bezirksamt, Abteilung Jugend und Familie, nicht, im Gegenteil  ■ Von Sabine Leucht

Wer, von der City kommend, die U 5 kurz vor Hönow am Bahnhof Louis-Lewin-Straße verläßt, der findet sich wieder in einem Einerlei aus grauem Stein und halbherzig eingefärbter Platte, notdürfig strukturiert von menschenleeren Straßen: Hellersdorf, die letzte Großtat der DDR-Architektur und für viele ein Synonym für beklemmende Enge, soziale Isolation und unaufhaltsam wuchernde Gewalt, gehört nicht gerade zu den beliebtesten Ausflugszielen. Otto Normalberliner weiß schon, wie grausig es dort ist, fühlt sich mit diesem Wissen wohl und überläßt alles weitere denen, die dort leben müssen. Doch nicht alle denken so: Läßt man, die U-Bahn im Rücken, die schwiemelige Döner-Bude nebst Plus und Rudis Reste Rampe rechts liegen, blitzt einem über die phantasielose Ödnis eines großen Platzes hinweg ein bunt bemalter Fremdkörper entgegen: „Das Weite Theater für Puppen und Menschen“, im Oktober 1991 von sechs abgewickelten Staatspuppenspielern und drei Musikern gegründet, residiert bereits seit fast sechs Jahren in einem sogenannten Dienstleistungswürfel, der zu DDR-Zeiten einen FDJ-Jugendclub beherbergte.

Die Wahl dieses exotischen Standortes bestimmte fortan das Programm des Weiten Theaters, dessen Arbeitsschwerpunkt heute vor allem deswegen auf Kinder- und Jugendtheater liegt, weil Menschen unter 20 im jüngsten Bezirk Berlins das Gros des potentiellen Publikums stellen. Eine Entscheidung, deren Richtigkeit durch Gastspiele im In- und Ausland und vielfach bestätigt wurde.

Samstag abend, kurz vor halb acht: In einer halben Stunde soll die Jugendtheatergruppe mit dem hoffnungsvollen Namen „Helle Weiten“ ihr Stück „Geschlossene Veranstaltung oder ... Das trojanische Pferd“ auf die Bühne bringen. Noch aber herrscht im Inneren des flachen Plattenbaus entspannt- chaotische Kneipenatmosphäre: An der Bar amüsiert sich ein bunt gemischtes Publikum, und aus den Lautsprechern tönt Altbekanntes von Fischer Z. Keine Pöbeleien, keine Skins. Nicht anders als vor rund 15 Jahren in den Jugendzentren weit draußen in der westdeutschen Provinz.

Dann geht es los: Auf der Bühne ein Baugerüst, auf dem 16 Menschen zwischen 15 und 19 Jahren rhythmisch vor sich hin zuckeln. Sie sind eingeschlossen in die bewegliche „Geheimwaffe“, die das Land X dem Land Y als schmuck verpackten Zeitzünder übergeben will. Troja eben, lose vermischt mit Sartres „Huis clos“ – denn als Feinde erweisen sich letztlich nicht die Ypsilonier: „Die Hölle, das sind die andern.“

Das Projekt „Trojanisches Pferd“

Ob mutloser Penner, bigotter Pfarrer, geldgeiler Vertreter, Umweltaktivistin oder sensationslüsterne TV-Reporterin ... – unter der Leitung des Schau- und Puppenspielers Thorsten Gesser haben sich die Jugendlichen ihre Figuren selbst ausgedacht und so die altbekannte Sage mit Themen kurzgeschlossen, die ihrer aktuellen Wirklichkeit entstammen. Das Ergebnis ist teils pfiffig und zeugt von Talent, teils klischeehaft und allzudeutlich geraten. Die Band spielt dazu gekonnt rockige Rhythmen, eigenwillig durchsetzt vom Gesang einer Geige (Leitung: Mike Hille). Nur der Schluß der Inszenierung erscheint etwas hastig dahingeschludert.

Kein Wundern, denn was hier zweideutig mit „Geschlossene Veranstaltung“ übertitelt ist, entstand nach nur sechs Monaten Vorbereitungszeit. Das klingt viel, ist aber wenig, denn geprobt wurde nur einmal pro Woche, und das Gros der Jugendlichen konnte auf keine Theatererfahrung zurückgreifen. So fand am Wochenende eigentlich keine Premiere statt, sondern – so Gesser – eine „heimliche Premiere für uns“, in der ein „akzeptables oder zumindest diskutables“ Ergebnis vorgestellt werden sollte. Geplant war das anders: Das Projekt „Trojanisches Pferd“ sollte sich als Spielwerkstatt zum Thema Gewalt noch über das ganze Jahr erstrecken. Unter anderen Begleitaktionen war im Sommer der Besuch des „Trojafestivals“ mit interkulturellem Austausch und Workshops geplant. Doch das Hellersdorfer Bezirksamt, Abteilung Jugend und Familie, ließ die Projektförderung Ende 97 überraschend auslaufen.

Theater ohne Bildungsmief

Weil man aber „die Jugendlichen nicht nach Hause schicken“ wollte, wurden die Proben ehrenamtlich zu einem frühen Ende gebracht. Ob es in Hellersdorf künftig weitere Projekte dieser Art geben wird, ist derzeit zweifelhaft. Denn von den 163.000 der beantragten 230.000 Mark, die der Bezirk dem Theater für das Jahr 1998 bewilligt hat, kommt jeder Pfennig vom Kulturamt. Das Jugendamt hat sich vorerst ganz aus der Förderung zurückgezogen. So sind zwar bis Jahresende die „künstlerischen“ Projekte weitgehend gesichert: Zu den frechen Märchenbearbeitungen für Kinder, die den laufenden Spielplan dominieren, kommen Mitte März („Das Gespenst von Canterville“) und Ende Mai „(Adrian Moles Wilde Träume“) zwei Neuinszenierungen für Jugendliche (und Erwachsene) hinzu. Doch auch wenn sich beide Stücke mit gesellschaftlichen und sozialen Problemen beschäftigen – die direkte Jugendarbeit können sie allenfalls ergänzen.

Als Podium für Hellersdorfer Bands und Theatergruppen hat das Weite Theater einen Status erlangt, von dem andere Theater nur träumen können. Als offener, „weiter“ Raum, aus dem jeder bildungshuberische Mief entflohen ist, wird es von den Jugendlichen als Aktionszentrum angenommen. (Es ist das einzige.) Es ist ihr Theater; und alles andere ergibt sich daraus. Wenn die namensgebende Weite dieses Theaters jemals zum leeren Wort verkommen sollte, dann liegt diese nicht an der sprichwörtlichen Enge Hellersdorfs, sondern an der Borniertheit finanzpolitischer Kleingeister, für die das, was zwischen den Stühlen sitzt, gänzlich unsichtbar ist.

„Geschlossene Veranstaltung...“ wieder am 27.3., 19 Uhr und am 28.3., 20 Uhr, Schkeuditzer Str. 3, Weitere Auskünfte Tel.: 991 79 27

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