: Robin Hood mit Fidel und Punkschopf
■ „Die Schnitter“fusionieren im Modernes Folk und Rock, „Die letzte Instanz“erzählt von unterschiedlichen Musikgeschmäckern im teilvereinigten Deutschland / Deutsche Texte im Kampf gegen den päpstlichen Puritanismus
Multikulti ist, wenn man beim Chinesen mit Stäbchen ißt, ohne sich das Hemd vollzusabbern. Klarer Fall von Multikulti ist aber auch, wenn sieben Dresdener miteinander Musik machen. Dann nämlich, wenn sie sich teils aus der Schule kennen (und lieben? „Iih nein, das gerade nicht!“), teils durch (Musiker)Kontaktanzeigen zueinander gefunden haben, aber eben nicht durch deckungsgleiche Musikkonzepte. „Jeder ist bei uns verschieden. Das ist das Komplizierte“, meint Hörbi, der Sänger der „Letzten Instanz“. Und kompliziert ist für ihn ein Synonym für wunderbar.
Die Verschiedenheit schlägt schon rein äußerlich zu. Der Mann an den Drums wird umschlabbert von einem HipHop-Streifenshirt und knechtet trotzdem – mit allem Mut zum Selbstwiderspruch – sein Schlagwerk mit der sturen Erbarmungslosigkeit eines altmodischen Hardrockers. Der Mensch, der sein Cello mit bemerkenswert vibratoloser Roheit besägt, trägt am Kopf einen eingefärbten Punkschopf. Der Geiger mit dem Namen „Muttis Stolz“sucht die Assoziation zu mittelalterlichen Folterknechten. Ein schwarzes bodenlanges Tuch spannt sich um die schmalen Lenden. „Rapunzel, laß uns erklimmen deinen Turm, dann bist auch du verloren“, singt Hörbi.
In der Pause zwischen der Instanz und der Kasseler Band „Die Schnitter“wurde im Modernes viel über Einordnungen diskutiert. „Wenig Leute“, meinte ein Gast zu Veranstalter Ulf, „kein Wunder, wenn's der Bremer als Folk-Punk ankündigt.“„Aber die Stimmung ist toll“, tröstet sich Ulf. Ulf ist Erzieher und steckt mitten in einem Traum. Es ist Premiere, sein erstes selbstveranstaltetes Konzert. Er ahnte schon, daß dabei Miese gemacht werden. Aber er liebt eben diese schwer einzuordnende Musik. Vermutlich ist er ein guter Mensch.
Tolle Stimmung heißt an diesem Abend, daß Gäste in einem Zustand der Verzückung interessante Pendelbewegungen ausführen, Arme teils dicht an den Körper geschmiegt, teils als Balancegewichte eingesetzt. „Lasche Atmosphäre hier in diesem Laden“, verkündet die Letzte Instanz. Doch die haben keine Ahnung. Für konzertmufflige Bremer Verhältnisse ist der Abend absolut top.
Die Musik der „Instanz“will die totale Offenheit. Techno, Rap, alles soll hier Platz haben. Schon andere Bands, The Levellers oder Inchtabokatables oder schon Jethro Tull, haben gezeigt, daß die Paarung weit voneinander abgelegener Musik- und Lebensstile lustige Bastarde zeugt. Schließlich werden auch in der Biologie neue Individuen durch Aufmischen der Gene erzeugt. Und Ulfs Konzert beweist, daß der Energiegewinn durch Fusion in der Musik noch lange nicht ausgereizt ist – im Unterschied zur Kerntechnik.
Lediglich zu einem Intro mit Klassik-Zitat (Strauss, Also sprach Zarathustra? – „Warum nicht, wenn es gut gemacht ist.“) konnte man Hörbi nicht bewegen. Im zarten Alter von sieben Jahren wurde er zum Geigenspielen genötigt. „Wenn ich es dann später nicht zum Arzt bringen sollte, könnte ich wenigstens ein zweiter David Oistrach werden, dachte sich mein Vater. Mit dem Ergebnis, daß ich seit drei Jahren keine Klassik mehr höre und spiele.“Ein anderes Bandmitglied dagegen hört ausschließlich Klassik – behauptet er –, ein dritter am liebsten Techno usw.
„Was wir aber nicht wollen, sind Virtuosen, Menschen also, die sich zehn Jahre still in ihrem Zimmer abmühen, ehe sie sich auf die Bühne wagen. Auf die Ideen kommt es an.“„Bei uns sollst du nie wissen, was dich im nächsten Moment erwartet. Mit dem Tanzen wird es da natürlich schwierig. Bei unseren Kollegen, den Schnittern, ist die Musik einfacher gestrickt. Die kommen in den neuen Bundesländern, wo auf den Straßen und in den Konzertsälen gerade mittelalterliche Musik angesagt ist, sehr gut an. Eigentlich witzig: Da gibt es diese Band aus Kassel; sie spielt in Bremen das erste Mal, war aber in Dresden bereits fünf oder sechs Mal zu hören.“Existieren denn Unterschiede im gesamtdeutschen Musikgeschmack? „Gewaltige. In der DDR sind deutsche Texte gefragt und viel Melodie.“
Die gab es bei den vergleichsweise brav gestylten Schnittern tatsächlich. Außerdem Ernsthaftigkeit und politische Bildung. Das CD-Booklet erzählt von einem Volkslied über einen „fränkischen Robin Hood des 16.Jahrhunderts“, das „zum haßerfüllten Schlachtrock überhöht“werden soll. Statt Anarchie im UK suchen die Schnitter – zum Beispiel – die musikalische „Antwort auf päpstlichen Puritanismus“. Inhalte und Punk: eine aberwitzige Verbindung.
Und wir sind zuversichtlich: Irgendwann einmal wird es Hardcore-Vertonungen von Hölderlingedichten geben, verziert mit Gospelkinderchören und einem Alp-horn. Muttis Stolz sollte doch Klassik zitieren, Beethoven, alle Menschen werden Brüder. bk
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen