: Vorbilder zum Schauen
Vom Fließbandarbeiter zum Millionär, von der Schülerin zur Ausbilderin. Wir porträtieren Karrieren von MigrantInnen ■ Mit Fotos von Anita Schiffer-Fuchs
Zukunftsperspektive stützt sich auf Ausbildung. Aber vielen Migranten und Migrantinnen sind die zahlreichen Möglichkeiten der Ausbildung ebenso wenig bekannt wie die der Fortbildung. Wir zeigen einige Vorbilder zum Anschauen – Menschen, die sich aufgrund ihrer beruflichen Qualifikation eine stimmige Lebensperspektive in Deutschland geschaffen haben oder schaffen wollen.
In Zeiten massiver Sparmaßnahmen im Bildungssektor ist Wissen über Weiterbildung nötiger denn je. Informationen geben „Pro Qualifizierung“, „Beratungsstelle zur Qualifizierung ausländischer Nachwuchskräfte“ und das „Projekt zur Förderung neuer Berufsfelder für Frauen in Industrie, Handel und Dienstleistung“. Adresse: Pro Qualifizierung, Unter Sachsenhausen 10–26, 50667 Köln, Fon: (0221) 164 06 67, Fax: (0221) 164 06 69. Zum gleichen Thema ist ein Kalender bei der Industrie- und Handelskammer in Köln kostenlos erhältlich.
Hüseyin Karatas zog mit 14 Jahren von Anatolien nach Deutschland zu seinen Eltern, die schon in Deutschland arbeiteten. Sein Schulabschluß wurde hier nicht anerkannt. Er mußte in Deutschland den Hauptschulabschluß nachmachen. Trotzdem blieb die Suche nach einem Ausbildungsplatz, die nach der Prüfung 1983 begann, erfolglos. Erst drei Jahre später fand er eine Arbeitsstelle bei Ford am Fließband. Als Ausgleich hatte Hüseyin sein Hobby: „Am Wochenende gab es für mich nur den Fußball“, erinnert er sich. Der begeisterte Kicker wurde Amateurschiedsrichter in der Kölner Kreisliga. Bald hatte er aber auch Frau und Kinder. Fließband, Fußball und Familie waren die Eckpunkte seines Lebens. Mit dreißig beschloß er, eine einjährige Fortbildung zum Teilezurichter zu machen. In einer Vorprüfung mußte er er seine Eignung für die Qualifizierungsmaßnahmen unter Beweis stellen. Hüseyin schaffte diese erste Hürde, und sechs Monate später konnte er mit zwanzig weiteren Kollegen die Ausbildung antreten. Jetzt sitzt Hüseyin in einem internationalen Kurs. „Wir sind ein Super- Mix: Türken, Italiener, Deutsche, Bosnier und ein Koreaner. Wir sind sehr verschieden, aber alle hochmotiviert.“S. Wohmann
Guglielmo Coppola kam als Gastarbeiter der ersten Stunde aus dem italienischen Brindisi nach Deutschland. Mit ein paar Habseligkeiten, dem Zeugnis der Fachhochschulreife und umgerechnet sechzig Mark in der Tasche. „Die erste Zeit war schwer“, gibt Guglielmo Coppola zu. Zunächst machte er sich eine Liste mit den Übersetzungen sämtlicher Werkzeugnamen und Fachbegriffe. Er hängte sie über seinem Arbeitsplatz auf. Dann belegte er auf eigene Faust einen Deutschkurs. Seine Eigeninitiative fiel auf. So wurde er schließlich von der Betriebsleitung beauftragt, die Modernisierung von Ford-Werken in Spanien und England mitzuübernehmen. In England lernte er auch seine jetzige Frau, eine gebürtige Perserin, kennen. Die nächste große berufliche Herausforderung kam Anfang der achtziger Jahre mit der Computerisierung von Arbeitsabläufen. Guglielmo wurde zur betriebsinternen Weiterbildung „Computergesteuerte Konstruktion“ vorgeschlagen. 1986 folgte ein Trainee-Programm, nach dessen Abschluß er den Titel „Spitzenfacharbeiter mit Spezialaufgaben“ erhielt. „Natürlich kosten Qualifizierungsmaßnahmen Zeit und Geld. Ohne die Toleranz der Familie ist so etwas nicht zu schaffen“, meint Guglielmo heute rückblickend.S. Wohmann
Aydin Yardimici fliegt jede Woche einmal in die Türkei. Er ist in beiden Ländern Unternehmer: In Deutschland betreibt er einen Fleischgroßhandel im Kölner Großmarkt, in der Türkei ist er Mitinhaber einer Plastikfabrik. Er begann 1970 in Deutschland am Fließband zu arbeiten. Fünf Jahre später bot ihm ein Bekannter einen Supermarkt an. Yardimici griff zu. Dort fiel ihm auf, daß viele Landsleute immer wieder nach Lammfleisch fragten, denn das gab es damals in deutschen Metzgereien kaum. Yardimici erkannte die Marktlücke. Nachdem er die notwendigen Kontakte zu Fleischlieferanten aus England, Schottland und Irland geknüpft hatte, eröffnete er 1978 einen Fleischgroßmarkt. Heute ist er Chef des größten Lammfleischzerteilungsbetriebs Europas. 1995 wurde ein entscheidendes Jahr für das binationale Arbeitsleben von Yardimici. Er eröffnete in der Nähe von Istanbul eine Plastikfabrik. Die Maschinen wurden aus Deutschland importiert. Heute hat er dort 120 Beschäftigte. Yardimici ist Gründungsmitglied des Deutsch-Türkischen Unternehmerverbandes (TDU). Zusammen mit der Industrie- und Handelskammer hat die TDU eine Ausbildungsinitiative in türkischen Unternehmen begonnen.K. Kanschat
Irene Odawa Reifsteck hat sich im Hyatt Hotel in Köln durch Fortbildungen hochgearbeitet. Mittlerweile ist sie zuständig für die Wäscheausstattung der Zimmer und für die Uniformen der Angestellten. Aber ihre Träume gehen weiter: Sie möchte wieder an der Rezeption eines großen Hotels arbeiten. Irene Odawa kam 1959 in der kenianischen Hauptstadt Nairobi zur Welt, hat elf Geschwister, die Eltern starben früh. In Nairobi schloß sie das von der Schweizer Regierung gesponserte Kenia Hotellary College erfolgreich ab – als Hotelfachfrau. Anschließend jobbte sie von 1982 bis 1988 als Empfangschefin in einem großen Strandhotel an der Nordküste von Mombasa. 1989 machte sie sich allein auf den Weg nach Köln, um ihre dort lebende, krebskranke Tante zu pflegen. Noch im gleichen Jahr heiratete Irene Odawa einen deutschen Fotografen. Im Mai 1990 fing sie im Kölner Hyatt Hotel in der Wäscheabteilung an. „Jeder Mitarbeiter, der weiterkommen will, wird von uns gefördert, und je mehr Nationalitäten wir haben, desto lieber ist es uns“, verspricht die PR-Managerin des Hotels. Ein Versprechen, daß Irene Odawa Reifsteck vielleicht zu ihrem Traumberuf im Empfangsbereich führen könnte.V. Renkes
Sotiria Ekizoglou, 38 Jahre alt, hat gut lachen. Sie ist eine erfolgreiche Existenzgründerin. Doch um so weit zu kommen, ging die Griechin einige Umwege. Mit acht Jahren kam sie nach Deutschland zu ihren Eltern. Das Mädchen, das anfangs keine Silbe Deutsch verstand, besuchte zunächst die griechische Schule und später Haupt- und Handelsschule. Mit 18 Jahren stieg Sotiria Ekizoglou als ungelernte Bürogehilfin in den Berufsalltag ein. Nach einem Arbeitsplatzwechsel schaffte sie es zur Sachbearbeiterin bei den Kölner Verkehrsbetrieben. Bald fühlte sie sich beruflich unterfordert. Unterstützt von ihren Eltern und ihrem Vorgesetzten, absolvierte sie berufsbegleitend eine 18monatige Ausbildung zur Personalfachfrau. Inzwischen war sie alleinerziehende Mutter eines Sohnes. Schon ein Jahr nach ihrem Abschluß stieg sie zur Leiterin der Ausbildungsabteilung auf. Doch die umtriebige Griechin verließ die gesicherte Position: Im März 1996 gründete sie die Firma pdi Personaldienstleistungs-Institut GmbH. Das Unternehmen bietet maßgeschneiderte Personalberatungskonzepte für Unternehmen an. Ihr Ziel: In zehn Jahren möchte Sotiria Ekizoglou in Griechenland leben und ihre Arbeit an beiden Standorten ausüben.A. Fritsche
Andrew Hendrian ist ein Kosmopolit, ein Prototyp des Hotelfachs. Seinen ersten Kontakt mit der Gastronomie machte der in Bombay geborene Inder im Tadsch Mah'al Hotel. Er absolvierte dort eine solide Ausbildung zum Koch und Restaurantfachmann. Von nun an begann seine Weiterbildung als Weltenbummler. Obwohl gerade der Krieg zwischen dem Irak und Iran ausbrach, ging er 1986 nach Bagdad. Dort arbeitete er als Kellner in einer großen Hotelkette. Bereits nach sieben Monaten war er Barchef. 1988 verließ er den Irak und reiste in die Vereinigten Staaten, kurz darauf nach Deutschland. 26 Jahre war er damals. Im Mai 1989 wurde er Servicemitarbeiter im Kölner Hyatt Regency. Ein halbes Jahr später kam die Beförderung zum stellvertretenden Restaurantleiter und 1992 zum Restaurantleiter. Der Karriere wegen wechselte Andrew Hendrian nach fünf Jahren Berufserfahrung in Köln in ein Hyatt Hotel in Djedda, Saudi-Arabien. Als seine Frau, Kölnerin und Tochter einer bosnischen Migrantenfamilie, schwanger wurde und ihr Kind unbedingt in Köln zur Welt bringen wollte, heuerte Andrew erneut im Kölner Hyatt an. Er wurde stellvertretender Wirtschaftsdirektor. Sein Fernziel ist nun Asien: als Wirtschaftsdirektor eines großen Hotels.A. Fritsche
Nuray Yigit steht hinter ihren Azubis. Sie ist in Deutschland geboren, perfekt zweisprachig und hat trotz ihrer 22 Jahre schon den Ausbilderschein in der Tasche. Ihr Arbeitgeber ist die Lebensmittel-Großhandelsfirma Atti Feinkost GmbH. Gewöhnlich tun sich ausländische Unternehmen in Deutschland schwer mit der Ausbildung: In weniger als 7.000 der insgesamt 270.000 meist kleinen Betriebe finden sich Lehrlinge. Deshalb konzipierte die Industrie- und Handelskammer Köln gemeinsam mit dem Türkisch-Deutschen Unternehmerverein einen Ausbildungsverbund. Elf türkische Unternehmen beteiligten sich, doch kaum jemand in diesen Betrieben besaß einen Ausbildereignungsschein, so bot die IHK eigens einen Kurs für Teilnehmende mit ausländischem Paß an. Am 6. Mai 1996 war es für Nuray Yigit soweit: Sechs Monate lang paukte sie für ihren Ausbilderschein. Dabei hätte die ehrgeizige Frau mit ihren 22 eigentlich noch drei Jahre warten müssen, um diesen Lehrgang mitzumachen. Eine Sondergenehmigung der IHK ermöglichte ihr die Fortbildung. Sie bestand die Prüfung auf Anhieb. „Aber eigentlich wollte ich ja früher mal Betriebswirtschaftslehre studieren“, schmunzelt sie. Ganz aufgegeben hat sie diese Idee nicht.S. Janssen
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