■ Die drei Täterthesen: Kommunisten – Nazis – Alleintäter
Für die Goebbels-Propaganda war alles klar: „Die Kommunisten“
hatten den Reichstag angezündet. Doch die Verhandlungen vor dem Reichsgericht im Herbst 1933 wurden für die Nazis zur Blamage: Für die Schuld der drei angeklagten kommunistischen Funktionäre, darunter des späteren Generalsekretärs der Kommunistischen Internationale, Georgi Dimitroff, gab es keinerlei Beweise. Sie mußten freigesprochen werden. Das Reichsgericht kam zu der Überzeugung, der holländische Anarchist Marinus van der Lubbe habe die Tat ausgeführt – könne es aber nicht allein gewesen sein.
Derweil setzte sich im Ausland unter dem Einfluß des „Braunbuchs gegen Reichstagsbrand und Hitlerterror“ – das unter der Schirmherrschaft von Willi Münzenberg in Paris veröffentlicht wurde – die These durch, daß in Wahrheit die Nationalsozialisten den Brand selber gelegt hatten. Nach 1945 setzt sich diese Auffassung weiter durch – bei Historikern wie in den Schulbüchern.
1959/60 veröffentlicht dann der Spiegel eine Serie, die erstmals die „Alleintäterthese“, wonach der Holländer van der Lubbe den Reichstag alleine angezündet hat, in eine breite Öffentlichkeit trägt. Sie erscheint 1962 unter dem Titel „Der Reichstagsbrand. Aufklärung einer Legende“ als Buch. Der Verfasser heißt Fritz Tobias und ist Ministerialrat im niedersächsischen Verfassungsschutz. Als Quellen stehen ihm vor allem die Handakten eines Verteidigers im Reichstagsbrandprozeß zur Verfügung, der auch NSDAP-Mitglied war. Daneben beruft er sich auf die Aussagen der seinerzeit im Auftrag von Göring ermittelnden Kriminalbeamten.
Wissenschaftliche Weihen erhalten die Forschungsergebnisse des Amateurhistorikers Tobias 1964 durch ein Gutachten des Münchner Instituts für Zeitgeschichte, verfaßt von Hans Mommsen (siehe unten). Der mittlerweile emeritierte Historiker zählt zu den renommiertesten bundesdeutschen Forschern zur Weimarer Republik und zum NS-Staat. Ein früher erstelltes Tobias-kritisches Gutachten aus dem gleichen Institut (Autor: Hermann Graml) bleibt unveröffentlicht.
1968 wird in Luxemburg unter dem Patronat Willy Brandts und des luxemburgischen Außenministers Pierre Grégoire das „Europäische Komitee für die wissenschaftliche Erforschung der Gewaltherrschaft 1933–1945“ gegründet, das sich auch mit dem Reichstagsbrand beschäftigt. Eine eigens dazu gegründete Kommission unter der Leitung des Schweizer Historikers Walther Hofer, Direktor des Historischen Instituts an der Universität Bern (zuvor Professor an der FU Berlin und bekannt durch seinen Dokumentationsband „Der Nationalsozialismus“), veröffentlicht 1972 und 1978 zwei Dokumentenbände, die alle damals bekannten Indizien enthalten, die für eine Nazitäterschaft sprechen.
1979 schlägt sich auch Die Zeit in einer Serie des Historikers Karl-Heinz Janßen auf die Seite von Tobias und Mommsen. Janßen stellt die persönliche Integrität von Eduard Calic, Generalsekretärs des Luxemburg-Komitees, infrage und wirft ihm Fälschung von Dokumenten vor. Allerdings geht es dabei nicht um Primärquellen, sondern um aus der damaligen DDR stammende Sekundärquellen. Der Vorwurf wird von der Forschergruppe um Hofer und Calic unter anderem mit Hilfe eines Schriftgutachtens des Urkundenlabors der Kantonspolizei Zürich bestritten.
1992 aktualisiert der Hofer-Schüler Alexander Bahar die Dokumentensammlung des „Luxemburg-Komitees“ und gibt sie erneut heraus („Der Reichstagsbrand. Eine Dokumentation“). Erst danach gelingt Bahar
zusammen mit Wilfried Kugel der Fund einer Reihe von Originaldokumenten, welche die These der Nazitäterschaft in wichtigen Punkten
stützen. MR
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