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Fish 'n' Chips am Korallenriff

Selbst die schwergewichtigsten Insulaner wiegen sich mit einer erstaunlichen Grazie zu modernen Disco-Rhythmen. Eine Fahrt zu den polynesischen Cook-Inseln, abseits vom Glamour-Tourismus à la Fidschi oder Tahiti  ■ Von Niels Boeing

Der erste Anblick bei Tageslicht straft alle Prospekte Lügen: Aus dem kleinen vergitterten Fenster des düsteren Quartiers ist weit und breit kein Pazifik zu sehen, kaum Himmel, nur Bananenstauden. Im riesigen Garten rosten zwischen tropischen Pflanzen Autowracks und Gartengeräte vor sich hin. Mit knurrendem Magen mache ich mich auf die Suche nach einem Frühstück und finde an der Straße einen Laden, der Toastbrot, Instant-Kaffee und Videokassetten vertreibt. Ich beschließe, in den Ort zu fahren. An der Bushaltestelle – ein Baum – treffe ich auf einen älteren, zahnlosen Polynesier. Seine Fahne verschlägt mir fast den Atem. Freundlich redet er auf mich ein, so daß ich den Bus, der einmal in der Stunde die Insel umrundet, zu spät bemerke. Weg ist er. Der Alte lacht. Auch er verschwindet. Ein Wolkenbruch setzt ein. Auf einem winzigen Mofa fährt mit aufgespanntem Schirm ein gewaltiger Maori mit wehender schwarzer Mähne vorbei, dreimal so breit wie der Sattel. Eine Madonnenfigur lächelt mich im Regen an. So hatte ich mir Polynesien immer vorgestellt.

Rarotonga, die Hauptinsel der Cook Islands, rückt die europäische Perspektive der Südsee, geprägt von Fototapeten mit Palmenstränden, Gauguin-Bildern und exotischen blumenbekränzten Gesichtern, zurecht. Seinen eigenwilligen Charme hält der Inselstaat erst einmal bedeckt. Statt dessen springen bei einer Umrundung der Insel mit dem Fahrrad vor allem Kuriositäten ins Auge. Die über 30 Kilometer lange Küstenstraße wirkt wie ein endloses Straßendorf aus tropischen Schrebergärten, in denen bunte Baracken und Bungalows mit Wellblechdächern stehen, unterbrochen von moosbewachsenen, vom Monsun zerfressenen Friedhöfen, die einem Horrorfilm entsprungen sein könnten. Dazwischen immer wieder Tankstellen, Videotheken und Fish'n'Chips-Buden. Der kulturelle Einfluß des früheren Kolonialherrn Neuseeland, mit dem die Cook Islands seit ihrer Unabhängigkeit 1965 assoziiert sind, ist überall spürbar.

Die typischen Südseestrände mit ihrem türkisblauen Wasser, das sich bis zum Riff hinzieht, sind nicht augenfällig. Das Südsee-Feeling läßt warten. Von Jet-set-Tourismus weit und breit keine Spur. Die meisten Beachresorts und Traveller-Bungalows stehen entlang des Muri Beach im Südosten der Insel. Dort bilden mit dichter Vegetation bewachsene Motus, kleine Inseln, eine dem Strand vorgelagerte Lagune. Dahinter kracht unablässig die Pazifikbrandung aufs Riff. Im Innern der Insel hüllen dichte, zuweilen dunkelgraue Wolken die schroffen Gipfel der Vulkanüberreste ein.

Das zugewucherte Inselinnere läßt sich auf einigen Wanderrouten durch den niedrigen Regenwald erkunden. Besonders beliebt ist der Cross Island Walk: In einem halben Tag überquert man die Insel über steile, lehmige Grate, vorbei an der „Nadel“, einem schlank aufragenden Felsen, durch kleine, tief in das Vulkangestein eingeschnittene Schluchten. Die „Ara Metua“, die Alte Straße, verläuft parallel zur heutigen Küstenstraße im Landesinnern. Sie wurde vor etwa tausend Jahren angelegt und gilt als älteste Straße Polynesiens. Ihr Pflaster bestand aus abgestorbenen Korallenblöcken. Es ist an einigen Stellen noch erhalten. Höher als die neue Straße an der Küste gelegen, eröffnet die Ara Metua Ausblicke über die tropischen Gärten hinweg auf den Pazifik. Im Südwesten der Insel führt sie an den Resten eines alten Maraes vorbei, einem der heiligen Orte und Versammlungsplätze der Häuptlinge aus den Tagen vor der Ankunft der ersten Europäer. Bis Mitte des letzten Jahrhunderts lebten die meisten Maoris entlang dieser Straße. Dann bauten Missionare ihre Kirchen an der neuen Küstenstraße, um die Einheimischen besser kontrollieren zu können.

„Keep your Paradise Aids- free“, fordert ein Straßenschild an der Einfahrt nach Avarua, dem Hauptort der Insel. Avarua selbst besteht aus einer Ansammlung nichtssagender Betonhäuser, einem Kreisverkehr für den nicht gerade überbordenden Autoverkehr und zwei, drei Shopping-Zentren unter Kokospalmen. Im größten Supermarkt der Insel stehen Konservendosen aus aller Welt. Frische tropische Früchte und Gemüse sind nur selten und dann zu astronomischen Preisen zu haben. Die meisten Inselbewohner leben von ihren eigenen Gärten. Das sei allerdings auch nötig, erzählt eine junge Polynesierin, die gerade aus Neuseeland auf die Insel zurückgezogen ist. Das Durchschnittseinkommen liege bei nur 150 Neuseeland-Dollar pro Woche, etwa 165 Mark. Die meisten Insulaner sind im Dienstleistungsbereich beschäftigt. Bereits 50 Prozent des Bruttoinlandsproduktes kommen aus Einnahmen durch den Tourismus.

Auch im Paradies sind die Alltagsprobleme nicht viel anders als irgendwo sonst auf der Welt. Der Polizeibericht der Tageszeitung Cook Islands News meldet, daß sich in den vergangenen Nächten fünf Ehepaare im Suff an den Kragen gegangen sind. Die Mülldeponie der Insel platzt aus allen Nähten. Im Südwesten verrottet die Bauruine des Sheraton, die dem Inselstaat Millionenschulden statt zahlungskräftiger Luxustouristen beschert hat.

Hatte man schon auf Rarotonga das Gefühl, das Leben laufe ein, zwei Gänge langsamer als üblich, scheint die Zeit auf der Nachbarinsel Aitutaki dahinzukriechen. Schon beim Anflug auf das Atoll mit der 18sitzigen Propellermaschine scheint man in eine andere Zeit abzugleiten. Die Landebahn, von den Amerikanern im Zweiten Weltkrieg angelegt, ist nicht asphaltiert, der Flughafen besteht aus zwei Baracken, ein paar Holzbänken, einer Kokospalme. Ein Bus sammelt die Handvoll Touristen ein und verteilt sie auf dem Haupteiland des Atolls.

Hier auf Aitutaki weht endlich ein Hauch jener Südsee-Romantik, die so tief in westlichen Köpfen verwurzelt ist. Noch mehr als Rarotonga wirkt die flache Hauptinsel wie eine große, verwilderte Gartenlandschaft, in der einige Dörfer verstreut liegen. Mit ihrem vom Riff scharf gezogenen Saum sieht die hellgrüne Lagune wie ein „See im Ozean“ aus. Das Leben auf Aitutaki unterscheidet sich nicht sonderlich von dem auf Rarotonga. Auch hier sind die Regale der Läden gefüllt mit Konserven und Fast food. „Die Jüngeren wissen schon gar nicht mehr, was man mit dem Gemüse alles machen kann“, sagt Sonja, eine Österreicherin, die vor einigen Jahren den Aitutakianer Tauono geheiratet hat und seitdem auf der Insel lebt. Die beiden verkaufen frisches Obst und Gemüse, das sie in ihrem Garten ziehen. Frischen Fisch fängt Tauono draußen am Riff. Er verkauft ihn an Traveller, die keine Lust auf Fish 'n' Chips haben. Dazu gibt es gekochte grüne Papaya, die an Kohlrabi erinnert. Die Brotfrucht schmeckt gekocht wie Kartoffeln.

Tauono bietet Tagestouren aufs Riff an. Er setzt auf Langsamkeit, wo andere mit Lagunentouren in Schnellbooten inklusive Barbecue auf den Motus klotzen. 28 Jahre hat er in Neuseeland gelebt, ist zur See gefahren, hat „ein wildes Leben geführt“, wie er sagt. Nach dem Tod seiner ersten Frau ist er dann wieder nach Aitutaki zurückgekehrt. „Float, relax and be happy“, sagt er lächelnd. Ein Alexis Sorbas der Südsee?“

Freitagnacht treffen sich die Rarotongaer in den Pubs auf den Inseln. Männer treten in einem Drag- Queen-Wettbewerb zur Misswahl an. Selbst die schwergewichtigsten Insulaner – und das sind nicht gerade wenige – wiegen sich mit einer erstaunlichen Grazie zum Rhythmus. Im Nachtbus zurück zum Guesthouse sitze ich vor einem Jungen mit riesiger Schlabberjeans und Rapper-Wollmütze wie Snoop Doggy Dog. Auch das, ein Teil des berüchtigten „Global Village“, direkt hier auf Rarotonga. Verdammt sympathisch.

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