: Schalldichter Luxusprimaner
■ Hanns Vierkandts Roman „In besseren Kreisen“über einen Hamburger Bankierssohn in den Dreißigern erstickt in Plattitüden
Flop wohnt mit seinen Eltern in der Hamburger Agnesstraße. Er ist der einzige Sohn der Bankiersfamilie und wächst, auch nach dem frühen Tod des Vaters, standesgemäß und wohlbehütet bei der Mutter auf. Sicher, er ist traurig, als sein bester Freund emigrieren muß. Trotzdem, der Spaß an der dekadent gelebten Pubertät vergeht dem Blondschopf nicht. Der erste Besuch im Freudenhaus, das anschließende Hummeressen am Timmendorfer Strand. Neben den kleinen Bequemlichkeiten des Alltags ist es zunächst die gestohlene Perlenkette der Mutter, die das moralische Befinden empfindlich stört.
Im Vergleich dazu kommen die Nazis für den Luxusprimaner im Jahr 1932 nur als „unser Edelnazi Doktor Kalb“vor. Der ist „freier Mitarbeiter des Völkischen Beobachters“und trägt beim Spätsommerfest der Vandendonks zivilen Frack und Kragen. So daß man ihn gut übersehen kann.
Hanns Vierkandts Roman In besseren Kreisen erzählt von schalldichten Wänden aus Lektüre und Luxus mitten in einem kruden Blätterwald. Vierkandt, der selbst Sohn eines Hamburger Kaufmanns und ein Gegner des Nationalsozialismus war, will seinen Zögling auf den Weg der Selbsterkenntnis verpflichten: Während er mit dem Förster wandert, Privatunterricht nimmt oder über die Dinge des Geistes plaudert, soll das Elend der eigenen Handlungslosigkeit erkannt werden. Doch das bürgerliche Projekt scheitert. Denn der Roman, der acht Jahre nach dem Tod des Autors jetzt in der edition Hamburg des Bormann Verlags erschienen ist, reicht an keiner Stelle über die peinlichen Sprachattitüden seines Hauptdarstellers hinaus.
Am Tag nach der Machtergreifung Hitlers etwa, der 30. Januar 1933 selbst ist mit Hochzeitfeiern draufgegangen, diskutieren Flop und sein Mitschüler Jan mit einer befreundeten jüdischen Familie über Thomas Mann. Während die Buchtitel summen, versandet jede erzählerische Kontrastschärfe, jeder Blick aus dem Fenster entfällt. Der Roman, der in penetranter Selbstüberschätzung das Vorbild des Lübecker Großerzählers anruft – aus dem Zauberberg wird gleich absatzweise zitiert – ist stumpf. Um überhaupt noch einmal den Fuß auf den Boden zu bekommen, muß sich die Geschichte zum Schluß eine bizarre Figur aus den Rippen schneiden. Herr Doose: Als gebildeter Diener und ekliger Nazi hat er wenigstens einen Show-down zu retten. „Es läuft schon seit Januar eine Anzeige bei der Partei gegen Sie. Sie sind ein gefährlicher Widerstandskämpfer, Herr Heldering!“Und aus dem wirren Nichts läuft auf der letzten Seite die Gefahrenquelle über: „Sie starrten beide auf die Pistole, die so harmlos neben den Salzmandeln lag.“
Vierkandt läßt offen, wer den Finger zuerst am Abzug hat. Er muß es offenlassen, weil ihm für eine Entscheidung so auf die Schnelle weder ein Täter noch ein Widerstand zur Verfügung steht.
Elisabeth Wagner
Hanns Vierkandt: „In besseren Kreisen. Flop und die Nazis“, Roman, Bormann Verlag, Hamburg 1998, 284 Seiten, 45 Mark
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