Schutz für die Täter

Weil das deutsche Gesetz nicht an EU-Recht angepaßt wurde, gehen Schlangen- und Elfenbeinhändler straffrei aus  ■ Von Thomas Höller

Wer mit aussterbenden Schildkröten, Schlangen oder Orchideen handelt, muß zur Zeit keine Angst vorm Staatsanwalt haben. Denn seit vergangenem Juni gibt es in Deutschland eine Gesetzeslücke. Die Bundesregierung hat es versäumt, das Naturschutzgesetz an die seither geltende EU-Verordnung anzupassen. So verweist das deutsche Recht nach wie vor auf die alte EU-Regelung. Die aber gilt nicht mehr.

Im Grunde müßte im deutschen Naturschutzgesetz nur die Verweisnummer geändert werden, damit der Import von seltenen Tieren und Pflanzen wieder als Straftat gilt. Doch die deutsche Agrarlobby blockiert das Schließen dieser Lücke und nutzt sie als Faustpfand für eine ganz andere Forderung in bezug auf das neue Naturschutzgesetz: Die Bauernvertreter wollen garantierte Ausgleichszahlungen von den Bundesländern haben, wenn ihre Felder und Weiden in einem ausgewiesenen EU-Schutzgebiet liegen. Zur Zeit schmort die gesamte Gesetzesnovelle im Vermittlungsausschuß von Bundesrat und Bundestag. Der Druck ist groß: Deutschland drohen ab Herbst tägliche Strafzahlungen von 1,5 Millionen Mark, wenn die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie, in der es um die EU-Schutzgebiete geht, nicht endlich umgesetzt wird.

Staatsanwaltschaften und Zollbehörden sind wegen der Blockade gezwungen, Ermittlungen gegen Tierschmuggler einzustellen. Professor Louis aus Hannover, Verfasser des juristischen Artenschutz-Kommentars, stellt fest: „Seit dem 1.6.97 darf in Deutschland niemand mehr für den kommerziellen oder gewohnheitsmäßigen Handel mit vom Aussterben bedrohten Tier- oder Pflanzenarten bestraft werden. Hier herrscht ein rechtsfreier Raum.“

Davon betroffen sind auch einige Verfahren, die am Stichtag 1.6.97 zwar eingeleitet, aber nicht abgeurteilt waren. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt mußte das gerichtliche Verfahren gegen einen Elfenbeinschnitzermeister einstellen: „Ein strafbares Verhalten liegt nach dem Ergebnis der Ermittlungen nicht vor, obwohl dem Beschuldigten eindeutig nachgewiesen werden konnte, mit Teilen geschützter Tierarten gehandelt zu haben.“

Besonders ärgerlich war das Ende der Sonderkommission „Boa“ in Koblenz. Die Artenschutzexperten des Koblenzer Zollfahndungsamtes hatten über Monate hinweg einen Schlangenhändler observiert. Weil sie hinter ihm eine mafiaartige Tierhandelsorganisation vermuteten, hörten sie sein Telefon ab. Im September glaubten sie, genügend Beweise zusammen zu haben und nahmen den Mann fest. Doch der Verteidiger des mutmaßlichen Schlangenhändlers warf die Frage nach der Rechtsgrundlage des Verfahrens auf. Der Hauptverdächtige mußte freigelassen werden. Die Sonderkommission konnte nur wegen hinterzogener Einfuhrumsatzsteuer weiterermitteln – eine Ordnungswidrigkeit.

Dabei waren die Zollbehörden immer erfolgreicher geworden. Allein 1996 hatten sie 1.799 Fälle von illegalem Tier- und Pflanzenhandel aufgedeckt. Vom 1. Januar bis zum 31. Mai 1997 waren es sogar 1.057 Fälle gewesen. Wäre das bundesdeutsche Naturschutzgesetz ordentlich angepaßt worden, so wäre 1997 sicherlich zu einem Rekordjahr der ermittelten Fälle von Artenschutzverstößen geworden, sind sich die Behördenvertreter einig.

Um nicht völlig tatenlos auszusehen, machte das Bundesumweltministerium kürzlich einen hilflosen Vorstoß. Die Zollbehörden wurden aufgefordert, wegen Steuerhinterziehung gegen Tierschmuggler zu ermitteln. Außerdem wies das Umweltministerium darauf hin, daß die EU-Artenschutzverordnung die Sicherung von Beweismitteln und in schwerwiegenden Fällen auch die Festnahme der Täter vorschreibt – doch ein Strafmaß gibt es für sie zur Zeit in Deutschland nicht. Schließlich Kündigte das Merkel- Ministerium Sonderanweisungen an den Zoll an. Dazu hat das Umwelt-Ministerium aber gar kein Recht: Die Zollbehörden und Grenzkontrollstellen unterstehen nämlich dem Bundesfinanzministerium. Anweisungen von anderer Seite dürfen sie nicht befolgen.