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Press-SchlagDer Iraner lauert schon

■ Nach Ende der arabischen Bildungsreise sucht DFB-Trainer Vogts „Antworten“

Ein Liedlein von ziehender Karawane samt durstigem Sultan ist vielbelallter Hit dieser Karnevalssaison. Jahreszeitlich naheliegend, daß der DFB derweil seine Betriebssportauswahl in einer Art wechselweisem Kulturaustausch zum Orientalen schickte. Zwei Spiele waren auszuballern. Nach dem lustlosen 2:0 gegen den vieltklassigen Oman erzielten die Champions des Okzidents am Karnevalssonntag durch Treffer vom Möllerlein (19.), von Helmer (72.) und Marschall (91.) auch gegen munter mitspielende, aber abwehrkonfuse Saudis ein blendendes 3:0.

Blendend, nicht nur wegen der augenquälenden Helligkeit in der gigantösen Stadionschüssel von Riad, sondern weil das diesmal immerhin mittelmäßige Gekicke kaum neue Erkenntnisse gebracht haben dürfte – außer Ersatzstürmer Bobic jene, daß er mit Muskelfaserriß die nächsten Tage ausfällt. Vogts jedenfalls sagte nachher gewohnt sinnend, er „suche noch Antworten“. Vielleicht hat er wenigstens die richtigen Fragen.

Keine gute war die nach dem übergreifend sportlichen Sinn der Arabien-Reise. Denn die deutsche Elf weiß ganz genau, wer sie bei der WM in Frankreich erwartet: Irans große Fußballsöhne um die Nationalhelden Daei, Bagheri und besonders Zwergriese Azizi als schier unüberwindliche Hürde.

Weil aber der Deutsche zäh ist, gibt er sich so schnell nicht geschlagen. Also wird geübt und geübt gegen vermeintlich mentalitätsähnliche Gesellen. Und der Iraner lacht sich schlapp. Täuschungsmanöver sollten das Unterfangen tarnen. Da brach der mitreisende Tourist, Torwart 0. Kahn, einen später sofort wieder selbst dementierten Streit im typischen 180-Grad- Kopfschwenk-Interview vom Zaune, er spiele zu wenig.

Oder die religiös aufgebauschte Frage, ob Möller und ohne Häßler einer Formation mit ohne Basler einer Häßbasler-Variante mit Teilzeit-Möller vor- oder nachzuziehen sei. Erstmals in der langen schmutzigen Geschichte des DFB wurden keine Hymnen gespielt. Lernziel: Es geht auch ohne. Ergebnis: Voll gelungen. Erstmals konnte ein DFB-Spiel nicht ausverkauft sein. Grund: Der Eintritt war frei. 50.000 Plätze blieben leer – soviel wie lange nicht bei einem Spiel der Deutschen.

Die Mannschaft, mittlerweile im Schnitt eine Ü 30, übte emsig das Foulen technisch versierter Gegner, sogar der kaum halbhohe Häßler konnte erstmals in seiner Karriere einen Gegner auffällig niederrammen, und kontrollierte ansonsten kontrolliert die Kontrolle über sich selbst. Einzig das Problem Klinsmann blieb ungelöst – der Kiefer wird bis zur WM, Pech für Vogts, längst wieder zusammengewachsen sein. Die Zuschauer lernten, neue National- Trikotagen so im Bewußtsein zu verankern, daß sie sie bald zu Zigtausenden kaufen.

Neu in den vergangenen Jahren gewonnene Fußball-Junkies müssen an den Stoff gewöhnt werden: daß er, was in der taktisch-strategischen Natur der Sache liegt, nur selten aufwühlend und lustvoll dargeboten wird. Vor allem nicht in Komplettübertragungen. Mittelfeld minutenweise statt des ekelig synthetischen ran-fun-Dopes.

Nach dem Spiel war auch in Riad Karneval. Da stellte sich ein putziger kleiner Saudi, als Hans-Hubert Vogts verkleidet, vor die Kameras. Das Kerlchen imponierte durch perfekte Imitation des deutschen Trainers in Sprachgefühl, Grammatik und Satzendungsspezialität: „Wir sind ein deutlicher Schritt in die richtije Richtung jejangen, ja.“ Die National-Karawane mag nun zurückkehren. Gewinnen können sie also. Jetzt aber gilt es, das anstandslos würdige Verlieren zu üben. Die großen Söhne des großen iranischen Volkes freuen sich schon auf ihren großen Triumph in Montpelier. Inschallah! Nur noch 121 Tage. Bernd Müllender

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