: „Da ist Daggie!“
Wie 20 JournalistInnen darauf warten, daß der HSV seine Krisensitzung beendet ■ Von Judith Weber
Der Mann vom Fernsehen juchzt vor Finderglück. „Ich habe einen warmen Platz entdeckt“, jubelt er, „über dem Abluftschacht der Handelskammer“. Beim Wort „warm“werden die anderen JournalistInnen aufmerksam. Tatsächlich: Aus dem Gitter strömt lauer Luftmüll. Es stinkt fast gar nicht, und vom Schacht aus bietet sich ein fantastischer Blick auf die Tiefgarage der Vereins- und Westbank.
Da drin steht Uwe Seelers Auto. Wenn man in die Knie geht, den Hals vorschiebt und den Rücken nur ein bißchen krumm macht, kann man es sehen. Und irgendwann, bestimmt in weniger als vier Stunden, wird der HSV-Präsident aus der Bank kommen; wenn das Krisengespräch zwischen Vorstand, Aufsichtsrat und Opposition des Hamburger Sportvereins vorbei ist.
Bis dahin warten die JournalistInnen vor der Banktür. Das ist zwar kalt, aber nicht verboten. Ansonsten ist an diesem Montag ziemlich viel verboten – im Foyer warten zum Beispiel, erklärt ein freundlich-schnauzbärtiger Herr Arens am Empfangstresen. Aufs Klo gehen ist auch verboten, weil die KollegInnen vom Fernsehen vorhin frech zum netten Herrn Arens waren.
„Da!“raunt plötzlich ein Reporter. „Da kommt Daggie! Die schnappen wir uns.“HSV-Aufsichtsrätin Dagmar Berghoff biegt um die Ecke – strahlendes Reporterglück. „Reden löst alle Probleme“, sagt Frau Berghoff in die Mikrofone, und daß sie für Uwe ist. Dann geht sie in das Bankgebäude, vorbei an Herrn Arens und seinem Kollegen, der kein Namensschildchen hat und deshalb von den JournalistInnen aus purer Albernheit Herr B-rens getauft wird. Einige Minuten später folgt Aufsichtsratsmitglied Jürgen Hunke.
Um genau siebzehn Minuten nach sechs gehen hinter der Handelskammer die Straßenlaternen an. Vom Abluftschacht aus kann man das gut beobachten. Um zweiundzwanzig Minuten nach sechs tut sich was in der Tiefgarage. Ein biegsamer Fotograf hat es zuerst gesehen. „Da kommt was!“ruft er, und schon öffnet sich das Schiebetor. Reporter verlassen fluchtartig den Abluftschacht. Kameramänner schalten Handys aus und schlingen letzte Keksdrittel herunter. Langsam kriecht der VW Polo einer Bankangestellten, die wohl Überstunden gemacht hat, aus der Garage; seine Besitzerin blickt in vier Fernsehkameras, vierzig enttäuschte Augen und grelle Scheinwerfer.
Es ist kurz nach acht. Vom Abluftschacht aus scheint es, als habe Herr Arens eben den Kopf gedreht. Weiß er etwas? „Der sitzt bestimmt die ganze Nacht da“, vermutet eine Reporterin und eine andere sagt, das werde sie hoffentlich nie herausfinden. Und dann öffnet sich das Garagentor, und endlich, endlich fährt Uwe Seeler hinaus. Er hockt hinter getönten Scheiben, man erkennt nur Konturen, aber was macht das angesichts der Umstände? Schnell ist der Wagen umzingelt, an einer roten Ampel wird er gestellt. Das Autofenster gleitet hinab – Journalistenträume erfüllen sich. „Kein Kommentar“, sagt Uwe Seeler und fährt an.
Siehe auch überregianale Leibesübungen, Seite 15.
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