Mit List und Tücke

■ Menschenhandel wird in Bremen kaum zahlenmäßig erfaßt

Am Anfang stehen eine Annonce in einer osteuropäischen Zeitung – „Biete seriöse Tätigkeit in Deutschland für Haushaltshilfe, Hotelfachfrau, Serviererin – oder der nette Fremde in der Disco, auf der Straße, in der Kneipe, der sich als Talentsucher ausgibt und den fingierten Tänzerinnen- oder Modellvertrag bereits in der Tasche bereit hält. „In den Dritt- und Heimatländern werden im modernen Menschenhandel äußerst selten Straftaten angewandt“, so der Senat in seiner Antwort auf eine Große Anfrage von CDU und SPD, die am Dienstag in der Bürgerschaft behandelt werden soll. In der Regel werde „mit List und Täuschung vorgegangen“, um die falschen Erwartungen der tatsächlich für die Prostitution angeworbenen Frauen so lange zu stärken und zu nutzen, bis sie Deutschland erreicht haben. Erst danach geht es richtig zur Sache: „Sofern das Opfer sich nicht widerstandslos in diese Tätigkeit fügt“, so der Senat, wird es vergewaltigt, sexuell genötigt, eingesperrt, bedroht und erpreßt.

Bis die Frauen bei den sogenannten Endabnehmern landen, haben Anwerber, Schleuser und Heiratsvermittler ihnen 2.500 bis 8.000 Mark für den Transfer, 200 bis 400 Mark für gefälschte Pässe und bis zu 10.000 Mark für Scheinehen in Rechnung gestellt, die ihnen nun als Schulden präsentiert werden. Abzuarbeiten durch Prostitution. Diese Zahlen, die laut Senatsantwort aus den Ermittlungsakten der Staatsanwaltschaft stammen, liegen im bundesweiten Trend. Ebenso wie die Tatsache, daß seit 1989 vermehrt Frauen aus Mittel- und Osteuropa als Opfer von Menschenhandel auftauchen. Zuvor hatten die Ermittlungsbehörden vor allem Südamerikanerinnen, Thailänderinnen, Afrikanerinnen und Filipinas registriert.

Schwieriger scheint es zu sein, konkrete Zahlen für Bremen und Bremerhaven zu nennen. Die Kriminalstatistik weist für den Zeitraum von 1990 und 1996 50 Ermittlungsverfahren wegen Menschenhandels aus, von denen 46 aufgeklärt wurden. Dabei gab es 72 Opfer und 120 Tatverdächtige.

Nur in Ausnahmefällen, so der Senat, zeigten Dritte oder gar die Frauen selbst den Menschenhandel an, in der Regel stoße die Polizei bei Kontrollen in Bordellen oder Bars auf Ungereimtheiten. Da illegal eingeschleuste und zur Prostitution gezwungene Frauen aber eher versteckt in Modellwohnungen arbeiten und kaum in der Szene auftauchen, dürften den Beamten dabei viele Fälle durch die Lappen gehen. Auf eine Schätzung der Dunkelziffer läßt sich der Senat nicht ein. Geht man aber von der Praxis des Bundeskriminalamtes aus, bei Sexualdelikten ein Verhältnis von 1 zu 20 anzunehmen, könnten in diesen sieben Jahren im Land Bremen bis zu 1.400 Frauen zur Prostitution gezwungen worden sein.

Warum so wenig Opfer selbst Anzeige erstatten, erklärt der Senat damit, daß sie anschließend als Zeuginnen „unmittelbaren Gefahren durch die Täter und deren Verbindungspersonen ausgesetzt sind, da deren Strukturen vor allem in den Heimatländern niemals völlig zerschlagen werden können“. Deswegen müßten die Frauen „für das Strafverfahren stabilisiert“und in ein Zeugenschutzprogramm aufgenommen werden.

„Wenn sie anschließend abgeschoben werden, nützt ihnen das gar nichts“, kritisiert Gigi Walter von der Asylgruppe Ostertor, daß die Erkenntnis nicht zu weiteren Maßnahmen geführt habe. „Zumal es in Bremen auch keine Organisationen gibt, die sich hier und in den Herkunftsländern um die Frauen kümmern können.“

Wie viele der mutmaßlichen Menschenhändler verurteilt werden konnten, kann der Senat offenbar nicht nachvollziehen: „Die Täterstrukturen sind nicht auf Bremen und Bremerhaven beschränkt“. Die Täterszene könne sehr flexibel auf die behördlichen Maßnahmen reagieren und sich bei zu erwartenden Zugriffen ins Ausland zurückziehen. Außerdem landeten manche Fälle nach erfolgreichen Ermittlungen bei Staatsanwaltschaften außerhalb von Bremen. Konkret heißt das: In Bremen erhob die Staatsanwaltschaft seit 1990 genau fünfmal Klage und hatte dreimal Erfolg. Ein Menschenhändler mußte eine Geldstrafe zahlen, zwei kamen für bis zu zwei Jahren ins Gefängnis. Möglich wären bis zu zehn Jahren Freiheitsstrafe.

Wie Polizei, Innen- und Ausländerbehörde im einzelnen mit den Frauen umgegangen sind, die in den diversen Ermittlungsverfahren als Zeuginnen auftraten, ist nicht aufgeschlüsselt. Sicher ist, daß sie lediglich eine Duldung bekommen konnten, wenn ihre Aussage für das Verfahren benötigt wurde.

„Die Zahlen sind so gering, daß es sich nicht lohnt, eine Statistik zu führen oder alle Ermittlungsakten noch einmal daraufhin durchzusehen“, erklärt Innenressort-Sprecher Stefan Luft. Genau das bemängeln aber Grüne und Asylgruppen. Gigi Walter: „Was uns fehlt, sind die Angaben, nach denen wir einschätzen können, ob genug zum Schutz der Frauen getan wird.“ bw