: Diesseits und jenseits der Donau
Die CSU gewinnt neue Mitglieder, die CDU verliert selbst auf den Dörfern. Das alles in derselben Region mit ähnlichen Problemen und der gleichen konservativen Wählerschaft. Woran liegt's? Eine Rundfahrt in Ulm und um Ulm herum ■ Von Hilmar Höhn
Immer nur Reformstau. Und immer dieselbe Leier: Steuerreform. Umbau des Sozialstaates. Arbeitslosigkeit. Thomas Schweizer kann es nicht mehr hören. Die Bonner Koalition sei eine Hochleistungsmaschine, dies sei ein Verdienst der CDU. Man muß nicht auf die Beweise eingehen, die der Geschäftsführer der CDU im Alb- Donau-Kreis nun aufzählt. Es geht um diesen Ausdruck von Verbitterung in seinem Gesicht.
Denn Thomas Schweizers Problem ist, daß selbst die Parteifreunde der Propaganda keinen Glauben mehr schenken. Und so geht es mit der CDU in Ulm und im Alb-Donau-Kreis bergab. Langsam zwar, aber stetig. 1994 gab es in Ulm und im Landkreis noch mehr als 2.600 Christdemokraten. Heute sind es 2.420. Freilich hat Schweizer „Karteileichen aus dem Mitgliederverzeichnis gestrichen“. Am Trend ändert das nichts. Schweizer spricht von einer überalterten Partei, der die Mitglieder wegsterben. Zusätzlich zehren Austritte an den Nerven des Parteimanagers. Neue Mitglieder sind Ausnahmen in „Zeiten der Politikverdrossenheit“.
Man müßte nicht nach Ulm kommen, um das Schrumpfen der CDU zu beschreiben. Aber gerade in Ulm ist die CDU in einer außergewöhnlichen Lage. Denn 500 Meter entfernt von Schweizers Büro dümpelt die Donau dahin. Der Fluß trennt hier Baden-Württemberg von Bayern. Und jenseits des Flusses kann man in Sachen Politikverdrossenheit Erstaunliches feststellen. In ihrem Bezirk Schwaben hat die CSU in den letzten Jahren Mitglieder gewonnen. Nicht viele. Aber immerhin wuchs die Zahl der Christsozialen zwischen Augsburg, Neu-Ulm und dem Nebelhorn von 18.920 im Jahr 1994 auf 19.336 Ende 1996. 1997 sei die Zahl weiter gestiegen, teilt die CSU-Zentrale in München mit. Die CSU ist ja nun keineswegs eine Oppositionspartei, die gegen eine unpopuläre Politik in Bonn anstänkern könnte. Immerhin stellt sie mit Theo Waigel einen der unpopulärsten Minister im Kabinett Kohl. Ihre Kader müssen sich genauso wie all jene Schweizers jenseits der Donau den Reformstau vorhalten lassen. Und doch mehren die Christsozialen als einzige Volkspartei in Deutschland die Schäfchen hinter ihren blauweißen Rautenbannern.
Die Erklärung, die Schweizer für die Misere der CDU parat hat, Politik sei heute zu komplex, um sie zu vermitteln, zieht also nicht so recht. Reicht die nachgeschobene Erklärung, die CSU sitze seit Jahrzehnten in der Münchner Staatskanzlei und schieße mit scharfer Munition auf alles, was sich in Bonn rührt? Schweizer ist nicht sicher. Die CDU Baden-Württembergs führe ab und an auch Wahlkampf gegen Bonn. Auch habe die Partei das Rot ihrer drei Buchstaben himmelblau überstrichen und vor einen waldgrünen Hintergrund gestellt. Man wollte die CSU ein bißchen kopieren. Aber es hat nicht recht funktioniert. Zu Beginn des Gesprächs hatte Schweizer den seiner Meinung nach heißesten Tip für die ungleiche Entwicklung gegeben. Ganz einfach: „Mia san mia“, das mache die CSU so erfolgreich: „Und das kann man nicht kopieren.“
Mia san mia? Günzburg, bayrisches Schwaben, ein Neubau. Vor der Tür ein weißblauer Würfel. Im Schaukasten hängt das Plakat zu einer Volksabstimmung mit den Positionen der CSU. Politik knackig: „Was Bayern selbst regeln kann, braucht nicht in Brüssel entschieden zu werden.“
Roland Kempfle ist als Bundeswahlkreisgeschäftsführer der CSU so etwas wie das Gegenüber des etwas ratlosen Thomas Schweizers. Von wegen Politikverdrossenheit, sagt Kempfle. „Klar, wir müssen uns auch mal harte Fragen gefallen lassen.“ Zumal das Land zwischen Günzburg, Neu-Ulm und dem südlicheren Krumbach der Wahlkreis Waigels ist. „Aber die Leute wollen trotzdem immer wissen, wo die Partei steht“, sagt Kempfle. Weswegen Veranstaltungen der CSU durchgehend gut besucht seien. „Wenn der Ministerpräsident im Bierzelt spricht, kommen 2.000 Leute.“ Beim Waigel sei das kaum anders. „Wir haben fast zu viele Anfragen von Vereinen, ob denn nicht zu diesem oder jenem Fest CSU-Prominenz auftreten könne.“ Die Bayern feiern eben gerne. Was könne da der Partei Besseres passieren, als in die zentralen Orte bayrischer Gemütlichkeit geladen zu werden.
Doch woher diese Popularität? „Das liegt daran, daß wir auch mal unpopuläre Sätze laut sagen.“ Etwa daß kriminelle Ausländer abgeschoben werden müßten, wie es der bayrische Innenminister Beckstein gern fordert. Kempfle: „Es ist wichtig, daß mal einer sagt, wie es ist.“ Noch etwas gehöre zum Geheimnis der CSU, meint Kempfle zum Abschied: Der Stoiber, der Waigel und die anderen, die seien eben „wie der Huber von nebenan“. Dagegen erinnert er sich an einen wenig stimmungsvollen Auftritt des CDU-Mannes Volker Rühe „hier bei uns“. Das habe man richtig sehen können, „wie wenig der sich wohl fühlt“. Verschlossen sei er dagestanden, „mitten unter de Leut“, gerade so, als habe er mit all denen gar nichts zu tun. „Vielleicht ist das der Unterschied“, sagt Kempfle, froh, daß die CSU- Recken nicht nur die Lufthoheit über den Stammtischen haben, sondern auch – via Rednerpult – Teil derselben werden können. Abgesehen von der Senats- Panne Anfang Februar, läuft der Laden CSU vorbildlich. Da strafte das Bayernvolk „seine CSU“ kräftig ab. Aber Erfolg entsteht nicht nur, weil das Volk seiner Partei lauscht, sondern auch, weil die Partei dem Volk lauscht. Daß die blauweiße Machtmaschine von Stoiber und Waigel diesen Draht noch hat, zeigten die Ergebnisse der letzten Kommunalwahlen, wo mit Nürnberg eine der letzten roten Bastionen Bayerns geschleift wurde. Dieser Manfred Krautkrämer, Steuerberater in Krumbach, ist auch so ein Erfolgreicher. Er hat sich allerhand Statistiken über seinen Wohnort Ziemetshausen zurechtgelegt, die zeigen, wie es mit Einwohnern und Gewerbe in dem 3.000-Einwohner-Flecken aufwärtsgeht. Was vor allem mit der CSU zu tun habe. Krautkrämer muß man sich als einen glücklichen Menschen vorstellen. „Die Weltoffenheit der Bayern erkenne man daran, daß sie einen Rheinländer wie mich zum Ortsvorsitzenden der CSU machen.“ Krautkrämer, Anfang der 80er Jahre zugezogen, ist ein Schaffer. Er hat sein Büro vergrößert, Filialen gegründet. Und 1993 den Ortsverein der CSU in Ziemetshausen übernommen. 14 Mitglieder habe der zu dieser Zeit gehabt. Zu dieser Übernahme sei es gekommen, erzählt Krautkrämer, weil der Theo Waigel aus dem benachbarten Oberrohr ihn, den Steuerberater Krautkrämer, gefragt habe, ob er sich nicht engagieren wolle. Krautkrämer war begeistert. Stand fortan hinter dem CSU-Stand auf der jährlichen Gewerbeschau, beackerte seine Bekanntschaft, unter der doch eine ganze Menge „eine große Nähe zur CSU hatten“. Ohne direkte Ansprache laufe nichts, sagt Krautkrämer. Innerhalb von fünf Jahren verdreifachte er die Zahl der Christsozialen auf 51 Mitglieder.
Das Geheimnis der CSU? Krautkrämer sagt, sie mache gute Politik, und Leute „wie der Waigel haben auch Spaß, vor zweihundert Leuten in Ziemetshausen eine Rede zu halten“. Präsenz, darauf komme es an. Und deswegen ist Krautkrämer, emsig wie sein großer Vorsitzender, „Mitglied in jedem Verein in Ziemetshausen“. Das stimme schon, sagt Thomas Schweizer, die CSU sei noch im letzten Winkel präsent. Ein Parteikollege, der nicht genannt werden will, meint, die CDU habe dagegen gerade auf den Dörfern „erhebliche Probleme“. Christdemokraten hätten dort nicht nur einmal verkündet, sie würden „Republikaner“ wählen. „Die Bindekraft schmilzt“, resümiert der anonyme CDU-Mann und rechnet vor: Zähle man die Stimmen der „Republikaner“ und der CDU zusammen, dann ergäbe das eine Mehrheit à la CSU in Bayern.
Ja, in Bayern, das sei schon beeindruckend, sagt Brigitte Fance, Chefin der Frauenunion im Alb- Donau-Kreis. Sie erinnert sich noch an eine Veranstaltung der CSU-Frauen „drüben“. Im Neu- Ulmer Brauhaus seien ein paar hundert Frauen gesessen. Alle wichtigen Funktionäre der Partei, aber auch der Landrat und die Abgeordneten seien dagewesen. „Das ist halt was anderes als bei uns. Ich bin immer schon froh, wenn die eigenen Leut kommen.“ Brigitte Fance hält etwas inne. Dann fügt sie an: „Vielleicht sind wir einfach zu bescheiden.“
Könnte schon sein, daß viele Christdemokraten sich nicht mehr so recht aus der Deckung trauen. Eine Mitgliederwerbekampagne der Partei im vergangenen Jahr war zwar freundlich abgenickt worden. Aber so manchen aus der Partei „beschleicht der Verdacht, daß sich da niemand sonderlich bemüht hat“. Schweizer: „Gebracht hat es gar nichts.“
„Der Erfolg der CSU?“ Thomas Kienle wirkt ein bißchen sauer, wenn er an jene Parteifreunde denkt, „die über die Donau fahren“ und dann wie geblendet sind. Geblendet vom Glanz weißblauer Fahnen, Blasmusik und einstudierter Fragen. Kienle, Vorsitzender der Jungen Union in Ulm, sagt: „Die Bayern haben halt ein erotisches Verhältnis zur Macht. Denen gefällt es, wenn der Stoiber mit Hofstaat einläuft.“ Thomas Kienle ist ein Schaffer wie Krautkrämer. Jünger freilich, hager, sympathisch, von Beruf Rechtsanwalt. In der Politik, sagt er, gehe es doch nicht nur um Macht. Politik, das sei „doch ein Wettbewerb der Ideen“.
Kienle sitzt um halb acht am Abend in einer Kneipe, unten im Basteicenter. Gleich ist Mitgliederversammlung der Jungen Union Ulm, einer Organisation mit 75 Mitgliedern. Kienle stochert in seinem Abendessen herum. „Heute abend diskutieren wir über unser Existenzgründerprogramm.“ Er schiebt die Tagesordnung über den Tisch. „Ich hab' mal telefoniert. Ich glaube, es kommen fünf Leute.“ Und dann guckt der Mann doch ein wenig resigniert.
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